Tchaikovsky • Medtner
Yevgeny Sudbin
BIS 1588
1 SACD • 71min • 2006
03.04.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Tschaikowskys b-Moll-Klavierkonzert in Ehren und immer wieder gern gehört (und auf den verschiedenen Tonträgern auch erworben)! Doch in diesem Fall der dritten BIS-Einspielung mit dem aus St. Petersburg stammenden Pianisten Yevgeny Sudbin ist für mich seine Darbietung des mehr als halbstündigen c-Moll Konzerts von Nikolai Karlovich Medtner die große Attraktion. Und dies nicht nur aufgrund der bescheidenen Katalog-Situation, sondern unter dem Eindruck facettenreichen, den vier Binnensatzcharakteren angemessenen Klavierspiels und einer von Gedankenreichtum gesteuerten, zielgerichteten Virtuosität, die selbst in den brünstigen Tastengewaltsamkeiten des „Coda“-Finales noch den Regeln werkimmanenter Logik untergeordnet wirkt. Medtners im Februar 1919 unter der Leitung von Koussevitzky in Moskau uraufgeführtes Konzert op. 33 zähle ich ohne zu zögern zu den bedeutendsten Werken dieses Genres in der imaginären zweiten Linie hinter den Unvergänglichkeiten der berühmtesten Autoren (Beethoven, Brahms, Schumann, Rachmaninoff, Prokofieff – je nach eigener Gewichtung). Sudbins im Begleitheft abgedruckte Werkbeschreibung aus der Sicht eines Kenners der russischen Musikszene und aus der Perspektive des Ausführenden ist deshalb als Verständnishilfe zu begrüßen.
Im ersten Stadium des Tschaikowsky-Schlachtrosses agiert Sudbin mit verhältnismäßig kurz, ja ruppig repetierten Hauptthema-Akkorden. Überraschenderweise wird dieser massive, festliche, so populäre Gedanke im weiteren Verlauf des Werkes nicht mehr aufgegriffen. Sudbin findet im Folgenden zu einer Behandlung des Allerbekanntesten, die ich als eine günstige Synthese aus Linienschärfe, entschiedener Akzentgebung und sinngebender Bogenwölbung im Zusammenfassen von größeren Wegstrecken bezeichnen möchte. Es handelt sich – wie mir vorkommt – um eine gestalterische Exzentrizität, die sich nicht ins Einzelne verläuft, die sich nicht mit letzter Kraft auf die Oktavenstrecken wirft, sondern im Wissen um die eigene Souveränität immer auch an das jeweils Kommende denkt, mithin im Vollzug die Vergangenheit und die Zukunft des Werkverlaufs im Auge, bzw. in den Fingern behält.
Überraschend für mich ist das bestens in allen Instrumentalbezirken austariert mitspielende Sinfonie-Orchester aus São Paulo. Dessen Einzelstimmen – zumal in den von Tschaikowsky zuweilen heikel gesetzten Bläsern – beweisen eine gehörige Portion an Sicherheit und auch Klangdelikatesse. Der gebürtige Brasilianer John Neschling – ein Großneffe Schönbergs! – ist seit 1997 Chefdirigent des Orchesters und zeigt mit dieser Veröffentlichung, welch gute Entwicklungsarbeit er geleistet hat – und dass São Paulo inzwischen alles andere als eine philharmonische Kommune hinter dem Mond ist.
Liebenswürdig die Zugabe! Sudbins subtile Transkription eines der neun, stilistisch an Wolf orientierten Goethe-Lieder op. 6 von Medtner erinnert an den selbst in Fachkreisen übersehenen Umstand, dass im Werkverzeichnis des Komponisten mehr Lieder der Beachtung harren als vergleichsweise im Katalog Rachmaninoffs.
Vergleichsaufnahmen: Tschaikowsky: Matsuev – Temirkanov (RCA 68697 002332); Medtner: Scherbakov – Ziva (Naxos 8.553359), Shukow – Dimitrieff (Melodya).
Peter Cossé † [03.04.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Peter Tschaikowsky | ||
1 | Konzert Nr. 1 b-Moll op. 23 für Klavier und Orchester | |
Nicolai Medtner | ||
2 | Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll op. 33 | |
3 | Liebliches Kind! (Bearb. für Klavier) |
Interpreten der Einspielung
- Yevgeny Sudbin (Klavier)
- Sao Paulo Symphony Orchestra (Orchester)
- John Neschling (Dirigent)