Johann Ludwig Bach Das ist meine Freud - Motetten
Carus 83.187
1 CD • 78min • 2004
07.05.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Beifall verdient der Carus-Verlag für seine wiederholten Wiederbelebungen oft unterbelichteter Schätze der Musikgeschichte. Beifall verdienen auch die in diesem Zusammenhang erforderlichen Bemühungen um kompetente Interpreten, zumal mit der Chormusik als Schwerpunkt. Hier nun richten sich Ohren und Augen auf eine Auswahl von Motetten des um acht Jahre älteren Vetters des Leipziger Thomaskantors Johann Sebastian Bach, nämlich auf den Meininger Hofkapellmeister Johann Ludwig Bach (1677-1731). Zwar konnte man den meisten der hier zu hörenden Kompositionen verstreut auf diversen anderen Sammelprogrammen begegnen, aber der Versuch einer zusammenfassenden Anthologie und Gesamtaufnahme (nach dem gegenwärtigen Wissensstand) ist mehr als gerechtfertigt. Denn relativ wenig weiß man bis heute von der damaligen Personalausstattung der Meininger Hofkapelle, aber der für die vorliegende Aufnahme vermutete Kompromiß einer Realisierung von Ludwig Bachs achtstimmigen, doppelchörigen Motetten mit je drei Sängern pro Stimme, also insgesamt 24 Choristen, dürfte der historischen Situation durchaus entsprechen. Schwieriger ist es dagegen, die Besetzung der Generalbaßgruppe werkadäquat zu gestalten. Sie wird durch das museale Orpheon-Consort aus Wien mit acht Gamben in unterschiedlicher Stimmlage, dazu je einem Violoncello und Violone-Baß repräsentiert.
Dennoch ergeben sich Einschränkungen für die Klangbalance zwischen den Vokalstimmen und deren instrumentaler Einfärbung, möglicherweise ausgelöst durch die akustischen Eigenschaften des Aufnahmeortes in der Heimat des Chorensembles Ex Tempore Gent in der belgischen Église de Bossières-Saint Gérard. Vertraut man den Abbildungen im Begleitheft der CD, so handelt es sich um einen Nischenkranz eines krypta-ähnlichen Gewölbes, das dem kunstvollen Stimmengefüge der Motetten die erforderliche Transparenz zu entziehen scheint. Zwar wird eine verblüffend plastische Stereo-Aufteilung der Klangkörper – namentlich bei der Kopfhörer-Wiedergabe – erreicht, doch ungelöst bleibt das Problem einer gewissen Nivellierung der barockdramatischen Werkgestaltung. Allzu wenig kommt so von der zwischen venezianischem Doppelchor-Konzertieren, Heinrich Schützens wortdeklamatorischer Textdiktion und polyphoner Kunstfertigkeit pendelnden Formensprache Ludwig Bachs zu einem packenden Ausdruck.
Die professionellen Sängerinnen und Sänger weisen sich zwar durch ein hohes vokaltechnisches Können und eine außerordentliche Stimmkultur aus, scheinen aber von ihrem fach- und sachkundigen Leiter und Ensemblegründer Florian Heyerick eher auf einen ermüdenden Schönklang mit Verzicht auf das redende Prinzip barocker Inbrunst und Emphase eingestimmt worden zu sein. Ohne die gedruckte Hilfe der Textbeilagen ist der Sinngehalt der figurenreichen und bildhaften Vertonungen einfach nicht nachzuvollziehen. Es fehlt schlicht die strukturierende Verständnishilfe der Wortkonsonanten und an unterschiedlichen Akzentsetzungen und Orientierungshilfen dank der jeweils „wortführenden“ Einzelstimmen im allzu gleichberechtigten Weich- und Mischklang von Vokal- und Instrumentalpartien. Ludwig Bachs kompositorische Meisterschaft wäre glatt verkannt, wollte man seine Motetten-Interpretationen gemäß naiv-schulmäßiger Barockpraxis auf eine simple Betonungsrhythmik der Taktschwerpunkte, auf sinnwidrige Schwelltöne oder mißverstandene Echo-Effekte bei Motivwiederholungen reduzieren.
Leider gibt es unnötig viele Beispiele dafür, denn genau dies geschieht hier etwa mit den durch flehende Wiederholungen eigentlich zu steigernden Rufen DAS! DAS! DAS ist meine Freude! (Track 2) oder Gedenke mein, mein Gott (Track 4). Auch die zur Bedeutungslosigkeit geschrumpfte Klangmalerei im Track 3 Die richtig für sich gewandelt haben oder das vom Tuttiklang überschwemmte Baßsolo in tragender Verkündigungsmission der Motette Gott, sei uns gnädig (Track 5) hält den treffenden Kurzanalysen im Beihefttext von Uwe Wolf nicht stand. Kurz, es gibt Schwachpunkte der Aufführung, die der künstlerischen Qualität des Zeitgenossen und Bach-Vetters aus Meiningen nicht gerecht werden. Den qualifizierten Chorsängern ist dies kaum anzulasten. Gefordert ist der nachweislich durch Erfahrungen und Erfolge geschulte Dirigent als Experte für Alte Musik, als praktizierender Blockflötist und Cembalist der Musica Antiqua Köln und jetziger Dozent an der Genter Musikhochschule.
Dr. Gerhard Pätzig [07.05.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Ludwig Bach | ||
1 | Das Blut Jesu Christi (Motette) | 00:07:40 |
2 | Das ist meine Freude (Motette) | 00:04:40 |
3 | Die richtig für sich gewandelt haben | 00:11:25 |
4 | Gedenke meiner, mein Gott | 00:10:45 |
5 | Gott, sei uns gnädig | 00:05:21 |
6 | Ich habe dich ein klein Augenblick verlassen | 00:08:15 |
7 | Ich will auf den Herren schauen | 00:06:58 |
8 | Sei nun wieder zufrieden, meine Seele | 00:08:43 |
9 | Uns ist ein Kind geboren | 00:06:40 |
10 | Wir wissen, so unser irdisches Haus zerbrochen wird | 00:07:00 |
Interpreten der Einspielung
- Stéphane Van Dijck (Tenor)
- Dirk Snellings (Bass)
- Ex Tempore (Chor)
- Orpheon Consort (Ensemble)
- Florian Heyerick (Dirigent)