Carus 83.214
2 SACD • 2h 04min • 2005
09.08.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Von der Interpretation her wäre diese Neueinspielung von Mendelssohns Oratoriums-Erstling beinahe eine neue Referenz-Aufnahme – verstünde man mehr vom Text. Das liegt sowohl am Chor wie auch und noch mehr an der klangtechnischen Balance: Das Orchester dominiert den Chor, obwohl der mit 46 Sängern neben dem 44-köpfigen Orchester eigentlich ordentlich besetzt ist. Da wirkt es ausgesprochen unnatürlich, wenn colla-parte-Stimmen einzelner Holzbläser immer wieder genauso stark klingen wie die ganze Chorgruppe, die von den betreffenden Instrumenten verstärkt wird. Hinzu kommt, dass der von Frieder Bernius bevorzugte Chorklang durch Dehnung von Vokalen ein Äquivalent zum Dauer-Sostenuto im modernen Orchesterspiel bietet. Es wird zwar immer noch sehr sprechend deklamiert, aber Konsonanten sind insgesamt der breiten Klangschönheit unterworfen. Das ist übrigens auch ein Gegensatz zu dem großartigen Spiel der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, die differenziert und äußerst farbig gestaltet; von Sostenuto-Spiel ist da praktisch nichts zu hören. Dieses Orchester ist überhaupt der Gewinn bei dieser Produktion, mit seinem Ansatz der historisch informierten Praxis auf überwiegend modernen Instrumenten (mit Ausnahme der Naturtrompeten und historischen Pauken) und dem ungemein engagierten, bis zum Zerreissen spannungsvollen Musizieren.
Frieder Bernius entfaltet das Oratorium in schlüssigen Tempi, in den Details durchaus beredt und spannungsvoll, mit weit atmenden Bögen, und doch bleibt insgesamt der Eindruck von Distanz – als ob im Musizieren des Dirigenten nicht restlos alles ausgesprochen werde. Bezüglich der dramatischen Dimensionen des Oratoriums bleibt dadurch vor allem der Fanatismus der Turba-Chöre ziemlich auf der Strecke. Das Solo-Trio ist mit Maria Cristina Kiehr, Werner Güra und Michael Volle vom dunklen Timbre her vorzüglich aufeinander abgestimmt. Sopran und Baß lassen keine Wünsche offen. Nur der Tenor Werner Güra vibriert für meinen Geschmack oft zu eng, in der Höhe wirkt er dadurch immer leicht angestrengt. Ich finde die Aufnahme hoch interessant, sorgsam gearbeitet, schön gemacht, aber sie packt mich nicht im Innersten. So fehlt mir jenes "letzte Quentchen", das eine durchgängige Zehner-Wertung rechtfertigen würde.
Schade ist auch, dafl die im Entstehen begriffene Gesamtaufnahme von Mendelssohn-Werken auf dem Label Carus selbstverständlich den Noten-Ausgaben des Carus-Musikverlags verpflichtet ist. Das macht es unmöglich, kritische Neuausgaben anderer Verlage zu berücksichtigen – was im Fall des Paulus schade ist, denn die neue Urtext-Ausgabe von Michael Cooper bei Bärenreiter bietet auch die ursrprünglich komponierten, für die umgearbeitete zweite Fassung wieder entfernten Teile, die man doch gerne kennenlernen möchte (Umstände, auf die der Booklet-Text natürlich nicht hinweist). So ist hier "nur" die bei Carus edierte zweite Fassung zu hören, die gleichzeitig Grundlage für den Erstdruck war. Ein letzter Wermutstropfen ist das im Rücken des Digi-Pack eingeklebte, nicht herausnehmbare Booklet.
Dr. Benjamin G. Cohrs [09.08.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Paulus op. 36 (Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift) |
Interpreten der Einspielung
- Maria Christina Kiehr (Sopran)
- Werner Güra (Tenor)
- Michael Volle (Bass)
- Kammerchor Stuttgart (Chor)
- Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen (Orchester)
- Frieder Bernius (Dirigent)