Carus 83.218
2 CD • 1h 26min • 2006
15.05.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Dies ist die Aufnahme einer Oper, die es eigentlich gar nicht gibt, von der bloß eine Skizze, eine Art Entwurf im musikalischem Stenogrammstil existiert. Franz Schubert faßte im Oktober 1820 den Gedanken, eine Oper auf Grundlage des altindischen Epos Sakuntala von Kalidasa zu komponieren. Das Libretto dazu hat ihm der Amateurdichter Johann Philipp Neumann (von ihm stammen auch die Texte von Schuberts Deutscher Messe) verschafft. Es wäre dies Schuberts erster Versuch mit einer Oper großen Stils geworden. Unklar ist bis heute, warum der Plan verworfen wurde und bloß ein dürftiges Fragment erhalten geblieben ist. Immerhin hat sich einiges an Neuem zu diesem Kapitel ergeben: Das beginnt bereits mit dem Titel, denn früher war in der Schubert-Literatur überall der Name Sakuntala zu lesen. Schubert und Neumann verwendeten aber die ungebräuchliche Form Sakontola. Unter diesem korrigierten Titel wird das Werk nun auch erstmals als Tonaufnahme vorgestellt. Weiterhin: ein Fund des Wiener Archivdirektors Thomas Aigner hat etwas Licht in die Angelegenheit gebracht. Das bisher verschollen geglaubte Textbuch ist aufgetaucht, es wurde mitsamt den – in der Aufnahme weggelassenen – Prosastellen dem Begleitheft beigefügt. Durch die Kenntnis des kompletten Textes werden viele frühere Unklarheiten über die Struktur des Werks beseitigt.
Der große, auch problematische Punkt besteht darin: Wie stellt man aus einer Skizze ein komplettes und womöglich aufführbares Werk her. Vor einigen Jahrzehnten hat einer der Vorgänger Aigners, der Musik-Bibliothekar Fritz Racek eine Sakuntala-Fassung hergestellt, die 1971 in Wien konzertant präsentiert wurde – es blieb aber bei dieser einzigen Wiedergabe.
Anders als Racek, der in seine Fassung auch Stücke aus anderen Schubert-Opern hineingenommen hat, ist der dänische Komponist Karl Aage Rasmussen viel behutsamer verfahren. Sein ganzes Bemühen ging dahin, nur Schubert und niemand anderen zu Wort kommen zu lassen. Daß Eindeutigkeit in diesem Fall bestenfalls angestrebt, aber nie vollkommen erreicht werden kann, muß dabei als Gegebenheit in Kauf genommen werden. Aber es ist eine ehrliche, auf profunder Kenntnis beruhende Arbeit, für die ihrem Urheber Dank und Anerkennung zu erweisen ist.
Eines bleibt allerdings jederzeit zu bemerken: Es handelt sich um eine ziemlich beiläufig hingeworfene Skizze. Schubert hat wahrscheinlich rasch die Einfälle notiert, wie sie ihm beim Lesen des Textes zugeflogen kamen und die sicher nicht alle so stehengeblieben wären, wenn er sich gründlicher in die Komposition vertieft hätte. Daher gibt es ziemlich spürbare Schwankungen in der musikalischen Qualität, manches mutet wie ein nichtssagendes Allerlei an, doch plötzlich tauchen wieder starke Momente, sogar große Eingebungen auf. Ein fesselnder Eindruck, weil man erleben kann, wie Schuberts Physiognomie bald klar und erkennbar hervortritt und dann wieder im Nebel verschwindet. Wer Schuberts Musik liebt, sollte sich diese ungewöhnliche Komposition oder richtiger: Nach-Komposition nicht entgehen lassen.
Die Wiedergabe unter Frieder Bernius steht auf hohem Niveau. Unter den Sängern gibt es zwar keine Berühmtheiten, aber alle stehen voll und ganz auf ihrem Platz und bieten ihr Bestes. Ganz besonders zeichnet sich der Stuttgarter Kammerchor mit seinen vorzüglichen Solostimmen aus, hervorragend auch die Bremer Kammerphilharmonie. Eine Publikation, die aus dem CD-Alltag weit herausragt.
Clemens Höslinger [15.05.2008]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Sankontala D 701 (Oper in zwei Akten - Rekonstruktion von Karl Aage Rasmussen) |
Interpreten der Einspielung
- Simone Nold (Sakontala - Sopran)
- Donát Havár (Duschmanta - Tenor)
- Martin Snell (Kanna - Baß)
- Konrad Jarnot (Madhawia - Baß)
- Stephan Loges (Durwasas - Baß)
- Kammerchor Stuttgart (Chor)
- Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen (Orchester)
- Frieder Bernius (Dirigent)