Troubadisc TRO-CD 01441
1 CD • 74min • 2010
20.08.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Zwei starke (und wenig bekannte) Stücke sakraler Musik von Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts hat das Münchner Label Troubadisc hier in einer Live-Aufnahme aus der Hamburger Nikolai-Kirche dokumentiert.
Arthur Honeggers La danse des morts (1938) ist ein Musterbeispiel für eine geradezu symbiotische Vereinigung von Dichtung und Musik. Zum zweitenmal – nach dem Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher – arbeitete der Komponist hier mit dem französischen Dichter Paul Claudel zusammen, der sich von einer Holzschnittserie Hans Holbein des Jüngern inspirieren ließ. Claudel hatte bei der Niederschrift des Textes, der sich auf verschiedene Bücher des Alten Testaments bezieht und durch umgearbeitete Volkslieder und lateinische Phrasen ergänzt wird, ziemlich genaue Vorstellungen von der dazugehörenden Musik und Honegger nahm seine Anregungen bereitwillig auf, weil sie auch seinen eigenen Vorstellungen entsprachen.
Die angewandten Stilmittel sind dabei sehr vielfältig und kontrastreich, reichen von introspektiven, visionären Passagen, bei denen dem Sprecher und dem Chor die zentrale Rolle zufällt, bis zu Schreien und Schluchzen (in den „Sanglots“). Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt der zweite Abschnitt der Komposition, der titelgebende Danse des morts, in dem Honegger virtuos mit der Collage-Technik arbeitet, drei französische Volkslieder (Sur le pont d’Avignon, Nous n’irons plus au bois, Carmagnole) mit dem Dies irae gespensterhaft verquickt. Auch Frank Martins Requiem (1972) ist ein Werk von außerordentlicher Originalität, denn es reflektiert die religiösen Inhalte und auch die Formen, diese musikalisch zu vermitteln. Schon in den 1940er Jahren hatte sich Martin mit dem Gedanken getragen, eine Totenmesse zu schreiben, sich aber noch nicht reif dazu gefühlt. Damals erkannte er das Grundproblem sakraler Musik darin, „dass eine allgemeine religiöse Übereinstimmung heute nicht mehr existiert“ und der Komponist damit „vor der Unmöglichkeit (steht), eine Basis für eine wirkliche und generelle Übereinstimmung mit dem Hörer zu finden“. Das gilt heute mehr noch als damals. Auf einer Mittelmeerreise empfing der über 80Jährige dann angesichts des Markusdoms in Venedig, des Doms in Monreale und des griechischen Tempels in Paestum doch noch die entsprechenden Inspirationen und fand einen ganz persönlichen Zugang zu dem so häufig vertonten liturgischen Text.
Musikalisch verbindet er dabei ganz heterogene Elemente zu einem schlüssigen Ganzen, konfrontiert traditionelle Kantilene und Harmonik mit Ausdrucksmitteln der Moderne wie zwölftönigen Passagen und engen chromatischen Cluster-Klängen. Im Dies irae, dem längsten Part dieses Requiems, erreicht er durch grelle, irrlichternde Klangfarben im Orchester und gespenstische Flüsterchöre eine bildstarke Vision des Jüngsten Gerichts, doch am Ende strahlt versöhnlich Lux aeterna, das ewige Licht. Der Tod hat seinen Schrecken verloren.
Der Kantorei St. Nikolai Hamburg unter ihrem Leiter Matthias Hoffmann-Borggrefe ist in Verbindung mit der Hamburger Camerata und einem tüchtigen, im Klang homogenen Vokalquartett eine ungemein konzentrierte und plastische Interpretation geglückt, wobei die Akustik der Kirche den eher überschaubaren Formationen einen gewaltigen, erhabenen Klang entlockt. Zwei Aufnahmen zum Immer-Wieder-Hören.
Ekkehard Pluta [20.08.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Arthur Honegger | ||
1 | La Danse des morts | 00:30:05 |
Frank Martin | ||
7 | Requiem | 00:43:33 |
Interpreten der Einspielung
- Christoph Bantzer (Sprecher)
- Katherina Müller (Sopran)
- Kaja Plessing (Alt)
- Michael Connaire (Tenor)
- Stafan Adam (Bass)
- Jürgen Henschen (Orgel)
- Stephanie Daase (Cembalo)
- Kantorei St. Nikolai Hamburg (Chor)
- Hamburger Camerata (Ensemble)
- Matthias Hoffmann-Borggrefe (Dirigent)