BIS 1994
1 CD/SACD stereo/surround • 79min • 2012
29.03.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Warum nur führt Prokofjews sechste Sinfonie, eines seiner tiefgründigsten und persönlichsten Werke, bis heute ein Schattendasein auf dem Tonträgermarkt, vom Konzertleben ganz zu schweigen? Liegt es vielleicht am denkbar garstigen Beginn, der wie das Schneiden einer Hecke mit rostiger Schere klingt? Oder am äußerst ambivalenten Schluss des Finales, in dem das rettende Dur buchstäblich erst in allerletzter Sekunde erreicht wird? Oder einfach daran, dass die Klischeebilder vom stets brillanten, ironischen und etwas oberflächlichen Prokofjew hier einfach nicht greifen? Wie dem auch sei, das Werk gibt Rätsel auf, und manch ein namhafter Dirigent ist an ihm schon glorios gescheitert.
Nicht so Andrew Litton, der mit den trefflichen Philharmonikern aus Bergen in den letzten Jahren bereits einige fantastische Einspielungen russischen Repertoires vorgelegt hat. Litton begeht nicht den Fehler, der Partitur von außen Bedeutung aufzupfropfen, sondern lässt die Musik für sich sprechen. Die zahlreichen Ecken und Kanten bleiben dabei durchaus erhalten; so zeigt der anfänglich scheinbar so unbeschwerte und gut gelaunte dritte Satz unter Litton schon sehr früh seine Zähne; mehr als in vielen anderen Einspielungen wird deutlich, dass der enorme, gepeinigte Aufschrei kurz vor der Coda bereits von Anfang an im thematischen Geschehen dieses Finalsatzes verankert ist. Famos dann die Coda selbst, in der viele Dirigenten auf die Tempobremse treten, um auf diese Weise einen bestätigenden Schlusseffekt zu erzielen, der aber vom Komponisten gar nicht gewollt ist. Unter Litton rast die Musik panisch einem der wohl bösesten Dur-Schlüüsse entgegen, die sich in der sinfonischen Literatur finden lassen.
Auch in den beiden ersten Sätzen weiß Litton zu punkten: Die bogenförmige Dramaturgie des Kopfsatzes zeichnen die Interpreten ebenso mustergültig nach wie die nicht leicht zu greifende Struktur des zentralen Largo. Ein großes Lob geht an die Klangtechnik, die Prokofjews ziemlich dicke und basslastige Orchestration in geradezu dreidimensionaler Transparenz abbildet. Schon rein klanglich kann diese Einspielung Referenzwert für sich beanspruchen.
Als substanzielle Zugabe gibt es die Suiten aus Die Liebe zu den drei Orangen und Leutnant Kijé, allesamt kantig, pointiert und farbig dargeboten; auch hier ist das Klangbild phänomenal. Ob man die Kijé-Suite unbedingt in der Fassung mit Solo-Bariton in den Sätzen zwei und vier (anstelle des sonst meist verwendeten Saxofons) braucht, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Sollte diese Einspielung den Beginn eines Zyklus der Prokofjew-Sinfonien darstellen, dann hätte dieser – bei gleichbleibender Qualität – beste Chancen, konkurrenzlos zu werden.
Thomas Schulz [29.03.2013]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Sergej Prokofjew | ||
1 | Sinfonie Nr. 6 es-Moll op. 111 | 00:42:18 |
4 | Lieutenant Kijé op. 60 (Sinfonische Suite) | 00:19:40 |
9 | Die Liebe zu den drei Orangen op. 33b (Sinfonische Suite) | 00:16:03 |
Interpreten der Einspielung
- Bergen Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Andrew Litton (Dirigent)