Sergej Tanejew
Piano Chamber Music
cpo 777 793-2
2 CD • 2h 00min • 2011
14.07.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In seinem vorzüglich-konzisen, zitaten- und somit sehr hilfreichen Begleittext stellt der Autor Matthias Wiegandt zu Recht den kompositorischen Tüftler, Plan- und Schachspieler Sergej Tanejew heraus, der nach eigenen Worten, wenn er sich mit einem thematischen oder motivischen Einfall festgefahren hatte, “die verschiedensten kontrapunktischen Kombinationen benutzt[e], die aus ihm herauszuholen sind. Diese Arbeit erfordert allerdings eine erhebliche technische Versiertheit, die ich erst im Laufe vieler Jahre erworben habe. Hierbei spielt es dann keine Rolle, ob die eine oder andere Kombination in meine Arbeit eingehen wird, sondern wichtig ist allein, daß die musikalischen Möglichkeiten des gegebenen Gedankens in jeder Hinsicht ausgeschöpft werden”. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele solcher Kombinationen nötig waren, bis so etwas wie die ungeheuer eindrucksvolle Oresteia das wurde, was sie ist, oder wie weit eine der hier versammelten Kammermusiken von der ersten Idee bis zur Zufriedenheit ihres Schöpfers zu gehen hatte. Unvorstellbar ist obendrein, wie einer, der sich bei der kompositorischen Arbeit gewissermaßen in der Ausschöpfung erschöpfte, durch diese seine Methode kaum einmal das Kalkül erkennen läßt, das dem Werk vorausging, weil der lebendige Strom der Erfindung und die oftmals blanke Schönheit der Entdeckungen alle konzeptionellen Erwägungen glatt in die Kulissen verbannt: Zwar erinnere ich mich, unter den Streichquartetten eines gehört zu haben, worin dieser Schritt vom Reißbrett zum klingenden Erlebnis nicht recht gelungen war, und auch die recht häufig gefiedelte Suite für Violine und Orchester will mich nicht wirklich erwärmen – doch daneben steht eine kapitale Zahl fesselnder Kreationen, zu denen die von cpo hier gekoppelte „Trilogie” aus den Jahren 1906 bis 1911 zweifelsfrei hinzuzurechnen ist.
Alle drei Stücke stellen dabei, wie Wiegandt gleichfalls treffend bemerkt, besondere Probleme der Klangbalance, die parallel zur Besetzungsgröße wachsen und die klangliche Qualität vom Trio über das Quartett bis hin zum Quintett merklich stärker beeinträchtigen. Von Seiten der Interpreten hätte ich mir in einigen innigen, glitzernd-subtilen Episoden ein wenig mehr an delikatester Farbgebung gewünscht – es gibt da Momente im Zusammenspiel zwischen Klavier und Streichern, die einen gewiß noch mehr hinschmelzen lassen könnten –, doch alles in allem geben diese ziemlich genau neunzig Minuten viel Anlaß zu einer ebenso packenden wie vergnüglichen Entdeckungsreise. Die zerklüfteten Ballungen im Kopfsatz des Quintetts etwa, die von einem quirligen, ausgedünnten, extrem sparsamen Presto beantwortet werden; der formal außerordentlich schrullige, verschrobene zweite Satz des Klaviertrios, in dem sich Scherzo- und Variationselemente ein Stelldichein geben; und schließlich das entwaffnende Adagio des Quartetts, dessen natürlich-schönen Hauptgedanken der Komponist selbst offenbar so sehr ins Herz geschlossen hatte, dass er ihn gegen Ende des Finales wiederholte: Das sind nur einige der „Stellen”, über deren Vorhandensein im Kammermusikrepertoire wir uns freuen sollten – wie insgesamt die Erscheinung des Sergej Tanejew eine durchaus erfreuliche ist, da sie uns nachdrücklich vor Augen und Ohren führt, dass schöpferische Tüfteleien nicht zwangsläufig in Partituren münden, die an ihrer „Richtigkeit” ersticken.
Rasmus van Rijn [14.07.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Sergej Tanejew | ||
1 | Klavierquintett g-Moll op. 30 | 00:44:09 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Klavierquartett E-Dur op. 20 | 00:37:13 |
4 | Klaviertrio D-Dur op. 22 | 00:38:29 |
Interpreten der Einspielung
- Anna Zassimova (Klavier)
- Albrecht Breuninger (Violine)
- Stefan Krznaric (Violine)
- Julien Heichelbech (Viola)
- Bernhard Lörcher (Violoncello)