cpo 777 902-2
1 CD • 67min • 2012
22.08.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Entstanden 1912-14 nach Vollendung der ersten Fassung der Ariadne auf Naxos und vor der Niederschrift der Alpensinfonie, ist Josephs Legende op. 63 nicht einfach nur Richard Strauss’ zentrale Ballettschöpfung (geschrieben für die Truppe Diaghilevs und am 14. Mai 1914 unter Leitung des Komponisten in Paris uraufgeführt). Sie ist ihrem ganzen Charakter nach ein mächtiges Statement zwischen den Genres: zwischen symphonischer Dichtung, einaktiger Oper ohne Worte und opulentem Ballettszenario, bildet sie letztlich den ersten großen deutschen Beitrag zu dem, was die Expressionisten als ‚Tanzdrama’ bezeichneten, ist also eine Vorbotin der hochverdichteten Ausdruckstanz-Musik der zwanziger Jahre, wie sie insbesondere in Heinz Tiessens aus chromatisch-polyphonem Drängen ekstatisch aufgipfelnder ‚Salambô’ op. 34 von 1923 ihren fesselnden Niederschlag finden sollte. Derlei Verbindungslinien orgiastischer Natur sind höchst faszinierend und führen beispielsweise auch von Werken wie Florent Schmitts 1907 vollendeter Tragédie de Salomé zu so unterschiedlichen, durchkomponierten Meisterwerken der klassischen Moderne wie Béla Bartóks revolutionärem Wunderbaren Mandarin oder Heinrich Kaminskis der inneren Emigration entsprungenem Tanzdrama von 1942.
Die Aufführung der Josephs Legende war, trotz der laufenden Kriegsvorbereitungen und schwieriger Proben, bei der Pariser Première ein großer Erfolg. Als sie später in London aufgeführt wurde, entspann sich ein heftiger, von Ressentiments und persönlichen Beleidigungen gefärbter Streit zwischen Ernest Newman, der das Werk für einen absoluten Tiefststand deutscher Kultur hielt, und George Bernard Shaw, der in England das Banner für Strauss ähnlich hochhielt wie Romain Rolland in Frankreich. Bis heute ist diese Meinungskluft nicht überwunden worden. Die einen halten es für eines der großen Strauss’schen Meisterwerke, die anderen für eine ästhetisch billige, behäbige Selbstvergnügung eines Konterrevolutionärs, der begonnen hatte, sein wahres rückwärtsgewandtes Gesicht zu zeigen. Man sollte sich diesem Scharmützel nicht weiter anschließen und beginnen, das Werk in nicht-ideologischer Weise zu würdigen.
Strauss ist per se kein Tragiker wie Gustav Mahler oder Hugo Wolf gewesen, und erst recht kein grüblerisch der romantisch verklärten Mystik zugewandter Typus wie Hans Pfitzner. Seine Stärken liegen im rhythmischen Schwung, im melodischen Elan, in der Fähigkeit, wie aus einem Guss eine große, zusammenhängende Form entstehen zu lassen, die er gerne mit einer Überfülle prächtiger Details überlädt. Schon in seinem Macbeth zeigte sich, dass dabei doch eher ein schwarzer ‚Don Juan’ herauskommen wollte, und der so unendlich größere Erfolg des letzteren spricht für sich. Anders Salome und Elektra: hier betrieb Strauss eine unerhörte Zuspitzung des exzessiv Leidenschaftlichen und eroberte mit der erweiterten, dissonanzgeladenen Harmonik neue Dimensionen des Ausdrucks, die immense Auswirkungen auf seine Nachfolger zeitigen sollten. Man hat ihm danach verständlicherweise vorgeworfen, dass er diesen Weg nicht weiter ging, sondern mit dem Rosenkavalier und der kammermusikalisch klassizistischen Ariadne auf Naxosdie Segel in ruhigere Gewässer setzte. Sein weiteres Schaffen stand gewissermaßen in der verbindlichen Auswertung und Erweiterung des Erreichten, in der souveränen Handhabung der verfügbar gemachten Stilmittel, und viele vermissten die innere Notwendigkeit, die sie in der Elektra noch in so elektrisierender Weise wahrzunehmen geglaubt hatten.
Josephs Legende ist, wie schon angedeutet, eine Fusion aus symphonischer Dichtung (auf die Länge von mehr als einer Stunde angewachsen), Ballett (sehr symphonisch konzipiert, also der zumal von Strawinsky angeregten allgemeinen Tendenz zum lockeren Zusammenhang durch scharf opponierende Alternanzen entgegengesetzt) und, was im psychologisch-dramatischen Zusammenhang naheliegt, opernhafter Handlung. Strauss konnte mit dem keuschen Hirtenknaben so wenig anfangen wie mit dem standhaften Jochanaan in der Salome, doch die sexuelle Besessenheit der Frau des Potiphar und die irrationalen Wendungen ihres Verhaltens auf engstem Handlungsraum faszinierten ihn immens, und zweifellos wäre dem Werk ein ganz anderer Erfolg beschieden gewesen, hätte es etwa den Namen ‚Potiphars Weib’ erhalten. Der künstlerische Wert des Balletts liegt meines Erachtens nicht unter dem der Sinfonia domestica oder der Alpensinfonie, doch muss man sich schon etwas bemühen, um den verschlungenen Verbindungen der Form zu folgen, und etwas intellektuellen Großmut beweisen, um den rettenden Eingriff des Erzengels auf dem finalen Höhepunkt des Dramas zu überstehen, ohne auf sarkastische Distanz zum Ganzen gehen zu müssen. Nun, es ist nicht das einzige Meisterwerk mit einem schief geratenen Handlungsstrang, dergleichen haben uns auch d’Annunzios prätentiöse Geschmacklosigkeiten in Debussys Le martyre de Saint Sébastien und viele Hollywoodfilme vor die Nase gesetzt, denen wir trotzdem künstlerischen Wert konzedieren müssen. Einzig der bombastisch ausufernde Schluss hinterlässt bei mir – wie beispielsweise auch derjenige von Pfitzners Von deutscher Seele– einen ziemlich überzuckerten, post-gründerzeitlich barockisierenden Nachgeschmack. Aber er wollte es so…
Die Aufnahme der Staatskapelle Weimar besticht mit vortrefflichem Orchesterspiel auf den Solopositionen und in den Gruppen. Hier ist durchweg eines der führenden deutschen Orchester am Werke, das mit Wachsamkeit, Leidenschaft und Intensität agiert, und wo man gewillt ist, aufeinander zu hören. Vorzüglich ist auch der Aufnahmeklang geraten, und Stefan Solyom hat sicher das seine dazu getan, dass eine solch brillante Transparenz erreicht wurde. Man kann hier in den polyphonen Verwebungen und Verästelungen mehr Stimmverläufen folgen als in anderen mir bekannten Aufnahmen, und eine pastose Aufführung wie diejenige Sinopolis mit der Dresdner Staatskapelle kann sich nicht mit diesem Ergebnis messen. Die unlängst bei Chandos erschienene Aufnahme Neeme Järvis hingegen hat, wie kaum anders zu erwarten, mehr Schwung, ist aber auch krachiger, und so bleibt vieles im Dickicht verborgen, was sich hier unwillkürlich enthüllt. Die Weimarer lassen sich deutlich mehr Zeit und lassen uns tiefer in die Linienstränge der Partitur blicken. Wenn bei der dritten Tanzfigur des Joseph der Walzercharakter verloren geht, so dürfte das auf das mutmaßliche Ausschlagen der Viertel zurückzuführen sein, was dem Zusammenspiel dienen soll, jedoch eine Eckigkeit mit sich bringt, die der Qualität der Bewegung im Wege steht. Eine kongenialere Aufführung ist zweifellos möglich, doch hier liegt eine Darstellung von erstrangiger Solidität vor, mit der sich nicht nur Orchester, Dirigent und Tonmeisterteam in vorteilhafter Weise präsentieren können, sondern die uns den scharfen Blick für Strauss immense Detailarbeit in bemerkenswerter Weise ermöglicht.
Christoph Schlüren [22.08.2014]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Richard Strauss | ||
1 | Josephs Legende op. 63 | 01:06:42 |
Interpreten der Einspielung
- Staatskapelle Weimar (Orchester)
- Stefan Solyom (Dirigent)