Claude Debussy
Piano Music Vol. 3
SWRmusic 93.319
1 CD • 80min • 2013
15.09.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Michael Korstick und Claude Debussy zum Dritten! Und wieder gibt es – wie ich meine – erheblichen Anlass, sozusagen kühlen Kopfhörens ins kontrollierte Schwärmen zu geraten. Zunächst ist es Korsticks Vermögen, mit den ersten Akkorden, ja in diesem Fall schon mit der ersten Tastenberührung eine ganz spezifische Stimmung aufzubauen. Mehr noch: in diesem ersten ebenso vorsichtigen wie bestimmenden Kontakt mit der Klaviatur scheint auch eine Art akustischer Duftmarke gesetzt zu sein. Anders und absolut subjektiv formuliert: hier geht es um die Musik Debussys in all ihrer klanglichen Alchemie, in ihrer momentanen Befindlichkeit und zugleich als Möglichkeitsform für das jeweils Kommende und in der Thematik dann verfeinert „Angesprochene“.
Bei diesen von Korstick in die Tastatur gesenkten, also weich abgefangenen Eingangsklängen handelt es sich um das Vorspiel zur 1887/88 entstandenen Kantate La damoiselle élue. Ein großes Vorhaben für erzählende Mezzosopranistin, Frauenchor und Orchester, das Debussy während seines Rom-Aufenthalt als Stipendiat beschäftigte und dann auch für den attraktiven „Rompreis“ einreichte. Das Stück basiert auf dem ursprünglich englischen Text von Dante Gabriel Rossetti. Es geh um eine Frauengestalt, die sich – über eine Art Himmelsgeländer lehnend – sehnsüchtig nach ihrem noch auf Erden weilenden Geliebten Ausschau hält. Die anmutige, dezent sentimentale Klavierfassung dieses 5-Minuten-Préludes bleibt in letzter Zeit vor allem dann nicht unerwähnt, wenn es sich um umfangreichere CD-Editionen oder sogar um Gesamtaufnahmen handelt – natürlich dem jeweiligen editorischen Wissenstand und den musikphilologischen Vorstellungen der Interpreten entsprechend.
Michael Kosrstick scheint diese Miniatur nicht nur wie eines der frühen Debussy-Beispiele bloß an den Anfang gesetzt zu haben – weil es im Rahmen einer Gesamteinspielung ja irgendwo platziert werden muss… –, vielmehr vermittelt er mit einer nur angedeuteten Pause zwischen der „gesegneten“ Dame und dem Eröffnungsstück der ersten Images-Serie den Eindruck eines wie immer auch gearteten Zusammenhangs. Ich erinnerte mich bei dieser Gelegenheit an den Pianisten Claudius Tanski, der auf diese Weise eine gedanklich-ästhetische Verbindung herstellte, als er von Busonis „Sonatina seconda“ direkt in den Beginn der h-Moll-Sonate von Liszt überleitete, ja hinüberglitt. Korstick jedenfalls gelingt es, überraschend zwei Werke nahezubringen, sie gleichsam unter einer imaginären Klammer aufzuführen. Dies vielleicht, um dem Hörer zu sagen, wie wertvoll auch jene Dinge sind, die auf der Wegstrecke bedeutender Komponisten von der Nachwelt achtlos passiert werden.
Mit den beiden Images-Komplexen wird es Korstick zumindest bei jenen etwas älteren Klavierfreunden nicht leicht haben, die Arturo Benedetti Michelangeli mit diesen sechs liquiden, tänzerischen, porträtierenden, in vieler Hinsicht in die musikalische Zukunft weisenden, aber im Fall der „Hommage à Rameau“ auch etwas stelzend retrospektiven Kostbarkeiten erlebt haben. Und überdies nicht nur die pianistisch wie stilistisch schier unwiderlegbare DG-Einspielung, sondern auch etliche Mitschnitte auf LP, CD und Video ihr eigen nennen. Indes darf, ja muss ich mit Freuden feststellen: Arturo Benedetti Michelangeli – das ist das eine, unvergessliche Debussy-Erleben, sozusagen auf der klanglichen und zwischenmenschlichen Ebene der Unantastbarkeit, des gewissermaßen lebendig Gefrorenen, wie es der italienische (Be-)Sonderling im Umkreis enger literarischer Grenzen wieder und wieder zur Diskussion stellte. Korstick agiert eine Spur elastischer oder auch unvorhersehbarer, wenn Debussy die rechte Hand zum Beispiel allem Wässrigen, Gischtenden oder auch Motorischen zu Diensten fordert. Den dritten Satz der ersten Serie – „Mouvement“ – nahm Benedetti Michelangeli gezirkelter, unbeirrter. Auf geschmeidige Weise abweisend eben, um mit ungemein markantem Zugriff die knappen, in kleinen Intervallen fallenden Akkordpakete auszuwerfen. Korstick gelingt es schon bald, den einstigen Über-Vaters der Debussy-Klavieristik zwar nicht vergessen zu machen, aber sich und seine ernste, aber immer wieder auch gelöste, wie zwischen den Impressionszeilen fündig werdende Lesart – und natürlich seine eminente Technik – in Stellung zu bringen. Es bleibt ja nicht ohne Folgen, wenn ein sich Musiker bei all seinen Initiativen auch um das Schaffen von Charles Koechlin gekümmert hat, wenn er sich mit Liszt auf „pèlerinage“ begeben hat und dies auch in der weiten Landschaft aller Beethoven-Sonaten!
Im schönen „Übrigen“ dieser Folge III sind mehr oder weniger wichtige Kleinigkeiten wie das „Wettbewerbs-Stück“ im Bonsai-Format oder die etwas staksige Haydn-Hommage platziert, Als unterhaltsamer Ausklang einer Werkauswahl, die mit den zum Glück aus der Vergessenheit geretteten, absolut vollwertigen Images oubliées und den Six Épigraphes antiques zwei weitere Schwerpunkte enthält. Auch hier bewegt sich Michael Korstick sinnend und sinnlich erklärend, wenn nötig auch geduldig verweilend in einer alten Welt, deren Formen, Geschichten und Stimmungen von Debussy der Atem musikalischer Zeitlosigkeit eingehaucht wurde. Und Michael Korstick weiß offenbar in diesem Sinne ein- und auszuatmen…
Verlgeichseinspielungen: Images I und II – Volondat (EMI LP 2704651), Gieseking (EMI TOCE-6147-50), EMI 5 65855 2, Pathé Marconi FCX 30.023;Aufnahmen 1927 – 1939 VAI Vaia 1117-2 ; Aufnahmen 1923-25 The Piano Library PL 203), Rév (Hyperion CDA 66416), Gilels (Prag 1973 – (Supraphon/Eurodisc LP 28 323 KK), W. Haas (Philips LP 6770 036), Helffer (Harmundi France HM 954), Arrau (1979 Philips 432 669-2), Entremont (Sony SBK 48174), Krainy (Panton LP 110227 H), Marcelle Meyer (14.-17.1.1957 EMI CZS 7 67405), Ciccolini (EMI CDC 7 54447 -2/I, bzw. Box CD 18181), Crossley (Sony SK 52583), Pludermacher (Harmonia mundi France HMC 901503), Benedetti Michelangeli (Torino 1963 Fonit Cetra CDAR 2005, Citta del Vaticano 1986 Ermitage ERM 123; DG Box 415 372-2, Vatikan-Stadt, Aula Nervi 13.6.1987 Memoria 999-001, Last concert Hamburg 7.5.1993 Memoria ABM 999.101), Tichman (Wergo 6241-2), Naoumoff (Wergo LP 60125), Poblocka (marifon LP 47982 OK), Ránki (Hungaroton LP SLPX 11886), Stott (Conifer classics 75605 51755-2), Thiollier (Naxos 8.553292), Rische (Schwann/Musica mundi LP VMS 1085), M. Jones (Nimbus Records NI 1773), Shephard (Roméo Records 7299-7300), Studer (Claves LP P 505), Stanislav Bunin (Sony Laserdisc SLV 46 376), Fukuma (Denon /Edition Hortus 113), Ciomei (Dynamic CDS 7697), Casadesus (Sony SM2K 60795), Colom (Zanfonia H -10.0046), Tiberghien (Harmonia mundi HMN 911717), Thibaudet (Decca 460 247-2), Moravec (Great Pianists Philips 456 910-2), Aimard (Warner Classics 8573 83940-2), Austbö (Simax PSC 1250).
Peter Cossé † [15.09.2014]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Claude Debussy | ||
1 | La Damoiselle élue | 00:05:09 |
2 | Reflêts dans l'eau (from Images I) | 00:04:56 |
3 | Hommage à Rameau (aus: Images I) | 00:07:04 |
4 | Mouvement (aus: Images I) | 00:03:27 |
5 | Cloches à travers les feuilles (from Images II) | 00:04:19 |
6 | Et la lune descend sur le temple qui fut | 00:05:09 |
7 | Poissons d'or (from Images II) | 00:03:56 |
8 | Trois Images Oubliées | 00:12:53 |
11 | Six épigraphes antiques | 00:17:16 |
17 | Morceau de concours | 00:00:41 |
18 | Hommage à Haydn | 00:02:06 |
19 | La Plus que lente | 00:04:08 |
20 | Ballade (slave) | 00:07:49 |
Interpreten der Einspielung
- Michael Korstick (Klavier)