Siegmund von Hausegger
Dionysische Phantasie • Aufklänge • Wieland der Schmied
cpo 777 810-2
1 CD • 69min • 2013, 2014
30.05.2017
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Endlich wird die Ersteinspielung der Orchesterwerke Siegmund von Hauseggers (1872-1948), die cpo mit seinem Hauptwerk, der Natur-Symphonie, begonnen hat, fortgesetzt – und das erfreulicherweise auf einem Niveau, das die Vorgängeraufnahme übertrifft. Wenn man Hauseggers Musik hört, darf man selbst dann staunen, wenn man wie ich schon hochgespannte Erwartungen gehegt hat – und das sowohl in individueller als auch in kollektiver Hinsicht: dass Hausegger in seinem insgesamt knappen Œuvre anscheinend durchgehend für höchste Qualität bürgt, und angesichts des gigantischen Niveaus, das die Ära der Kapellmeistermusik im deutschsprachigen Raum auszeichnete, wo außer den gängigen Namen Richard Strauss und Gustav Mahler neben dem gebürtigen Grazer Hausegger so exzellente Meister wie Felix Woyrsch, Paul Büttner, Hermann Suter, Hans Pfitzner, Emil Nikolaus von Reznicek, Felix Weingartner, Alexander Zemlinsky, Hermann Hans Wetzler, Max Reger, Paul Graener, Gerhard von Keußler, Max Schillings, Franz Schreker, Anton Webern, Wilhelm Furtwängler, Franz von Hößlin oder Emil Bohnke tätig waren, um nur einige wenige zu nennen. Unter diesen ist Hausegger einer der Mitreißendsten und – auch wenn dies gelegentlich heruntergespielt wurde – eigenständigsten. Handwerklich verfügt er in fortgeschrittenstem Maße über die Mittel nicht nur der Orchestration (hier sind ihm beispielsweise Mahler oder Reznicek ebenbürtig), sondern auch hinsichtlich der Handhabung der harmonischen und kontrapunktischen Feinarbeit und der sich aus korrelierten Kontrasten und feinnervigsten Übergängen herausbildenden Formungskunst.
Unter den drei hier vorgestellten Tondichtungen ist die Dionysische Phantasie von 1896 die früheste, und schon hier fesseln die Kühnheit, der Schwung, die atmosphärische Kraft, kontinuierliche Bauweise und glanzvolle Orchesterbeherrschung, auch wenn der Tonfall des 24jährigen noch mehr in der Tradition steht als im darauffolgenden, kolossal angelegten Barbarossa, der als nächstes bei cpo erscheinen soll. Danach vollendete Hausegger 1904 Wieland der Schmied, die mit knapp 18 Minuten kompakteste seiner symphonischen Dichtungen, und zweifellos nicht nur eines seiner besten und durchschlagskräftigsten Werke, sondern überhaupt einer der stärksten Beiträge zur von Liszt etablierten und vom jungen Strauss zu schwindelerregender Höhe geführten Gattung. Das archaisch Kriegerische, Heroische, und das mysteriös Zärtliche, Innige werden in stürmischer Weise in Gegensatz gebracht, und der klare Bau lässt den Hörer jederzeit spüren, wo er sich innerhalb des nahtlos zusammenhängend erlebten Geschehens befindet. Ein über halbstündiges Werk des gereiften Hausegger, und sein letzter großer Wurf, eröffnet den Reigen der vorgestellten Werke: die Aufklänge von 1917, ein freier Variationszyklus über das Lied Schlaf, Kindchen, schlaf – und hier werden die meisten am wenigsten erwarten und mit einer mehr oder weniger akademischen Pflichtübung rechnen. Doch genau das ist nicht der Fall! Als Form ist dieses Werk so organisch und in der Dramaturgie geschmeidig aufgebaut, dass man bezüglich der wechselnden Charaktere schlicht vergessen könnte, dass es sich um eine Variationsform handelt: der Bogen reißt niemals ab, und es ist faszinierend, wie Hausegger der schlichten Vorlage auf natürlichste Weise einen unerschöpflichen Reichtum an Facetten abgewinnt und an den Übergängen die Konturen entweder in meisterhaftester Weise verschmilzt oder den Wechsel mit symphonisch konturierender Orientierung markiert. Nichts ist hier auch nur im Ansatz Verlegenheit, und man kann sich nur wundern, was ein hochkarätiges Wechselspiel von freier Inspiration und höchster Satzkunst ermöglicht. Eine frappierende Überraschung, mit der sich zu beschäftigen man gerne vielen Zeitgenossen angeraten hätte! Und man kann nur bedauern, dass danach Hauseggers Schaffenskraft versiegte und er der Nachwelt vor allem als von München aus wirkende, treibende Kraft der Etablierung der Originalfassungen von Anton Bruckners Symphonien in Erinnerung geblieben ist.
Das große Plus der vorliegenden Zusammenstellung sind auch die ausgezeichneten Aufführungen. Unter dem Niederländer Antony Hermus spielen die Bamberger Symphoniker nicht nur in hervorragender Form auf, der Dirigent zeigt klaren Sinn für die Charaktere, hält das Orchester in den komplexen Verschachtelungen der Musik auch technisch tadellos zusammen, versteht es, die Übergänge bruchlos zu gestalten, und hat überdies einen erstaunlich intuitiven Bezug zum Spannungsverlauf der Modulationen. Fünf Tage standen für die Aufnahmen zur Verfügung, und man hat sie wirklich mit respektgebietender Klasse und Hingabe genutzt. Das Klangbild ist durchsichtig und auch in der Räumlichkeit von seltener Tiefenschärfe und Klarheit. Dazu kommt Booklettext, der mit Liebe zur Sache und mit Daten, Fakten und Zitaten ausgestatteter, wohlfundierter Kenntnis besticht.
Christoph Schlüren [30.05.2017]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Siegmund von Hausegger | ||
1 | Aufklänge (Symphonische Variationen über ein Kinderlied) | 00:31:16 |
2 | Dionysische Phantasie (Symphonische Dichtung) | 00:19:30 |
3 | Wieland der Schmied (Symphonische Dichtung) | 00:17:35 |
Interpreten der Einspielung
- Bamberger Symphoniker - Bayerische Staatsphilharmonie (Orchester)
- Antony Hermus (Dirigent)