Johann Sebastian Bach
Goldberg Variationen
Naxos 8.551405
1 CD • 80min • 2016
01.02.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Johann Sebastian Bach schrieb seine „Aria mit verschiedenen Veränderungen“ BWV 988 um das Jahr 1740 als vierte Folge seiner „Clavierübung“. Außergewöhnlich ist die Widmung dieses in Gänze nur Virtuosen zugänglichen Oeuvres an die „Liebhaber“ und die obligatorische Forderung nach einem „Clavicimbel mit 2 Manualen“, einem Luxus-Instrument, das nur für sehr wohlhabende Privatpersonen, Hofcembalisten und Organisten auf exponierten Stellen erschwinglich war.
Man mag das Werk in seinen virtuosen Abschnitten mit Ineinandergreifen und Kreuzen der Hände als deutsche Antwort auf die 1738 erschienenen „30 Esercizii“ Domenico Scarlattis ansehen, träfe damit aber nur einen Teilaspekt des Werks. Ein vielleicht wichtigerer Aspekt ist der eines Kompositionstraktats in Beispielen – hierin ein Gegenstück zur „Kunst der Fuge“ – über die Ableitung mannigfaltigster kürzerer Satztypen aus einer identischen Basslinie. Denn Bach variiert nicht die Melodie der „Aria im Stil einer Sarabande grave“, sondern deren auf dem aus dem 16. Jhd. stammenden Bass-Modell des „Ruggiero“ basierte Harmonisierung. Dadurch schlägt er einen Bogen von Girolamo Frescobaldi, J. J. Froberger und J. Pachelbel, deren Variationstechnik seine frühen Choralpartiten, die „Aria variata“ und die „Sarabande con Partitis“ beeinflusste, zu seinem eigenen Kompositionsunterricht, in welchem er – basierend auf F. E. Niedts „Musicalischer Handleitung“ – Schülern die Aufgabe stellte, aus einem Bass-Modell Suitensätze oder Präludien zu entwickeln. Bach nutzt diese Technik in seinem heute eher unter dem Namen „Goldberg-Variationen“ bekannten Werk, um von ihm entwickelte Modelle zu höchster Vollendung zu führen. So ist es durchaus möglich, die dreistimmigen Kanons als endgültige Ausprägung des Typus der Sinfonien BWV 787-801 und die zweistimmigen Virtuosenstücke als über die Duette BWV 802-805 gereifte Inventionen anzusehen.
Nur wenigen Interpreten vermögen diese 80-minütige „Monstre-Passacaille“ so stringent zu gestalten, dass der Hörer nicht in Gedanken abschweift, was möglicherweise sogar vom Komponisten – so man denn Forkels Goldberg-Anekdote Glauben schenken will – als Mittel gegen die Schlaflosigkeit des Grafen Keyserlingk beabsichtigt war. Anne-Catherine Bucher gelingt dieses Kunststück durch eine ungemein raffinierte Artikulation, stimmige Temporelationen, sensible Agogik im „Jeu inégal“, höchst geschickte Registrierungen und gelegentlich eingestreute zusätzliche Ornamente. Das ist Bach-Interpretation auf allerhöchstem Niveau von stupender Leichtigkeit und Eleganz.
Ihre intensive Auseinandersetzung mit dem Werk schlägt sich auch im ausführlichen, ungemein durchdachten und durchaus neue Aspekte beleuchtenden Essay nieder, so dass man hier wirklich von einer „wissenden Clavecinistin“ sprechen muss.
Das farbenreiche Cembalo nach Dulcken wurde außerordentlich natürlich ohne nerviges Gerassel oder zu penetrantes Obertonspektrum aufgenommen.
Fazit: Wer nach einer Aufnahme der „Aria mit verschiedenen Veränderungen“ sucht, der man von Anfang bis Ende gern lauscht, sollte hier unbedingt zugreifen.
Thomas Baack [01.02.2019]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Goldberg-Variationen BWV 988 | 01:19:32 |
Interpreten der Einspielung
- Anne-Catherine Bucher (Cembalo)