France Romance
Naxos 8.551414
1 CD • 74min • 2018
18.06.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Kotaro Fukuma, ein hochmotivierter Pianist aus Japan, der in Berlin lebt, geht sehr systematisch bei der Erschließung seines Repertoires vor. Auf seinen CDs bauen musikalische Themenfelder aufeinander auf. Bei seinem neuesten Wurf könnte der Titel „France Romance“ fast wie eine Untertreibung wirken, nachden sich hier doch ein überaus differenzierter und subjektiver pianistischer Kosmos auftut. Aber vielleicht hilft ja ein solcher Titel, dass sich möglichst viele Klavierenthusiasten spontan angesprochen fühlen und sich auf neue Hör-Abenteuer einlassen...
Also nach Frankreich geht die Reise: Dabei haben es dem Pianisten die persönlichen, innigen Ausdrucksmomente in den Kompositionen vornehmlich aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders angetan. Doch es geht um mehr, demonstriert doch diese Auswahl, mit welcher Neugier sich Frankreichs Komponistenszene aus vielerlei Quellen bediente, Rückschau hielt und nach vorne blickte. Fin de Siecle? Impressionismus? Frühe Moderne? Komponisten lösen sich von Konventionen, wenn der unmittelbare Ausdruck zählt. Diese Philsophie zeigt auch Fukumas Stückeauswahl – und mehr noch die emotional direkte, klanglich beglückend ausdifferenzierte pianistische Herangehensweise.
Ohne Umschweife, ja mitunter genial-einfach verdichtet Kotaro Fukumas Spiel eine tiefe Ruhe in zwei frühen Debussy-Stücken. Da lebt die Aura eines atmenden Minimalismus - fast so, als wäre John Cage hier im Spiel - bevor eine choralartige Linie einen Hauch von Ewigkeit suggeriert. Aber Fukuma kann auch anders, wenn der Notentext dazu herausfordert: Denn die Faszination in seinem Spiel resultiert nicht zuletzt aus einer kompromisslos dosierten, oft aufrüttelnd impulsiv hervorbrechenden Dynamik.
Ausgiebig taucht er in die innige Ausdruckswelt von Gabriel Fauré ein, bevor eine Transkription von Maurice Ravels La Valse den spektakulären Höhepunkt im Programm liefert. Bislang schien nur eine Version für vierhändiges Klavier ausreichend, um die ganzen orgiastischen Energiefelder der Orchesterpartitur abzudecken. Fukumas erstaunliches Potenzial demonstriert, dass er mit zwei Händen die ganze Bandbreite, das ganze dynamische Spektrum und die emotionale Fallhöhe zu bändigen weiß. Dramatisch-rätselhaft ist die Introduktion, bevor die Walzermelodie ihre verschlungenen Wege geht, durchkreuzt von mitunter irrwitzigen harmonischen Brechungen und kühnen Unregelmäßigkeiten. Und wenn im weiteren Verlauf Francis Poulenc zum Thema wird, bildet auch hier die Hellsichtigkeit dieses „Neoklassizisten“ mit jener dieses neugierig forschenden Interpreten eine denkbar günstige Kombination. Sinnlich kostet Fukumas Spiel eine Chanson von Edith Piaf aus, verarbeitet verspielt und anmutig die von Poulenc aufgegriffenen Mozart-Bezüge und türmt mit impulsiver Wucht die Klangmassen einer weiteren „Novelette“, also einer musikalischen Kurzgeschichte auf, die Poulenc als vertrackte Rhythmusstudie anlegte. Alle Unterscheidungen zwischen E- und U Musik scheinen willkürlich, vor allem in der Aufbruchsstimung im frühen 20. Jahrhundert. Das demonstrieren die mitunter sehr jazz-affinen Songarrangements von Alexis Weissenberg, einem ebenfalls sehr kreativen Charakterkopf in der französischen Komponistenszene.
Viele weitere überraschende Beispiele hinterlassen den Eindruck, dass es hier um weit mehr als nur eine Prise Romantik geht – vielmehr um Quellenforschung und Erkenntnisgewinn ebenso wie tiefe Berührung und Leidenschaft. Fazit: Was aus verschiedenen Stilschubladen, einer anderen „Schule“ oder künstlerischen Philosophie entstammt, ist doch im Kern oft sehr seelenverwandt.
Stefan Pieper [18.06.2019]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Claude Debussy | ||
1 | Rêverie L 76 – Andantino sans lenteur | 00:04:32 |
2 | La Plus que lente L 121 | 00:04:16 |
Gabriel Fauré | ||
3 | Improvisation cis-Moll op. 84 Nr. 5 | 00:01:36 |
4 | Nocturne op. 84 Nr. 8 | 00:02:36 |
5 | Romance sans paroles As-Dur op. 17 Nr. 1 | 00:01:32 |
6 | Romance sans paroles a-Moll op. 17 Nr. 2 | 00:02:25 |
7 | Romance sans paroles As-Dur op. 17 Nr. 3 | 00:02:34 |
Maurice Ravel | ||
8 | Pavane pour une infante défunte | 00:06:03 |
9 | La valse, Poème choréographique for Orchestra | 00:11:49 |
Erik Satie | ||
10 | Gymnopédie Nr. 1 | 00:03:16 |
11 | Je te veux (Valse) | 00:05:18 |
Francis Poulenc | ||
12 | Improvisation Nr. 15 (Hommage à Édith Piaf) | 00:03:41 |
13 | Novelette No. 1 C major – Modéré sans lenteur | 00:02:58 |
14 | Novelette No. 2 b flat minor – Très rapide et rythmé | 00:01:39 |
15 | Novelette No. 3 e minor – Andantino tranquillo | 00:02:04 |
Alexis Weissenberg | ||
16 | Coin de rue | 00:03:40 |
17 | Vous oubliez votre cheval | 00:01:35 |
18 | En avril à Paris | 00:03:50 |
19 | Boum! | 00:02:02 |
20 | Vous qui passez sans me voir | 00:02:43 |
21 | Ménilmontant | 00:01:09 |
Jean Lenoir | ||
22 | Parlez-moi d'amour | 00:02:52 |
Interpreten der Einspielung
- Kotaro Fukuma (Klavier)