Johannes Brahms
Sämtliche Orgelwerke | Complete Organ Works
TYXart TXA16084
1 CD • 11min • 2017
02.06.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Merkwürdigerweise entstanden alle 15 Kompositionen, die Johannes Brahms für die Orgel schuf und bezeichnenderweise mit keiner Opuszahl versah, in engem Zusammenhang mit seiner Freundin Clara Schumann. Die frühen, 1856/57 entstandenen Werke waren das Ergebnis gemeinsamer Kontrapunktstudien und womöglich für den Schumannschen Pedalflügel bestimmt, für den Robert zehn Jahre zuvor seine Studien, Skizzen und Fugen op. 56ff. komponiert hatte. Von diesen erschien einzig die Fuge in as-moll WoO 8, – eine kontrapunktische Tour de force, bei der bereits die Beantwortung des Themas durch seine Umkehrung erfolgt und deren souveränes Handwerk sich nur erschließt, wenn man den Notentext mitliest – als Beilage der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ im Jahre 1864 zu Lebzeiten des Komponisten. Die beiden – speziell im Manual – hochvirtuosen Präludien und Fugen in a und g WoO 9&10 orientieren sich an barocken Modellen, sind aber in ihren 2-gegen-3-Rhythmen und in ihrer Weitgriffigkeit mit Sextenketten in Sechzehntelsextolen in der rechten Hand klavieristisch echter Brahms.
Nachlassordnung oder Neukomposition?
Ob Brahms alle 11 Choralvorspiele, die nach seinem Tod als op. 122 veröffentlicht wurden, in seinem letzten Lebensjahr als Epitaph für Clara komponierte, möchte ich bezweifeln, da bei manchen Werken das Vorbild Bachs zu sehr durchschimmert. Vielmehr halte ich es für wahrscheinlich, dass es ihm, der ja sämtliche Skizzen und misslungene Sätze gnadenlos zu verbrennen pflegte, um diese Werke leid tat und er sie deshalb einer der Töchter Claras als „Totenopfer“ übergab. Bestes Beispiele bieten die Reminiszenz an „Durch Adams Fall“ in „Herzliebster Jesu“ und die zweite Bearbeitung von „Herzlich tut mich verlangen“, die die Setzweise von „Ich ruf zu dir“ aus Bachs „Orgelbüchlein“ transformiert, indem die bewegte Mittelstimme zur Oberstimme wird, die pochenden Pedalachtel als Unterstimme der linken Hand erscheinen und der Cantus firmus von der Oberstimme als Tenor ins Pedal wandert. Diese dreistimmige Textur verlegt Brahms in eine wesentlich tiefere Lage und fügt ihr eine weitere Stimme sowie Füllnoten hinzu. Hierdurch entsteht wie auch in den meisten anderen Choralvorspielen ein extrem dichter, nicht eben idiomatischer Satz, der eher für ein Streichquartett mit eventueller Klarinettenbeteiligung geeignet scheint und dem Organisten höchstes registratorisches und artikulatorisches Können abverlangt. Bemerkenswert, um wie viel organistischer die „Zugabe“, Anton Bruckners aus nur ein paar hingeworfenen Akkorden bestehendes Perger Präludium, in diesem Kontext wirkt.
Meditativer Charakter
Andreas Etlinger wählt an der Bruckner-Orgel von St. Florian recht breite Tempi und artikuliert tendenziell in einem dichten Legato. Dies gibt allen Werken einen eher meditativen Charakter, was für die meist ruhigen Choralbearbeitungen seine Berechtigung hat, da sie den lyrischen Werken die nötige Poesie vermittelt. Doch erscheinen mir manche der Schlussritardandi etwas zu üppig. Das Herzklopfen in der linken Hand von op. 122/10 hätte ich gern deutlicher vernommen. In den beiden frühen Präludien fehlen mir die leicht aggressive Brillanz und die magyarischen Rubati des jungen Klaviertitanen. Es ist anzunehmen, dass Brahms die noch weitgehend unveränderten Hamburger Barockorgeln kannte und im Ohr hatte. Deshalb wären hier Zungen und Mixturen sicherlich nicht fehl am Platz gewesen. So schön die vorwiegende Verwendung von Grundstimmen ohne Aliquote den meditativen Charakter unterstreicht und so reizvoll viele Werke auch klingen, wirkt die ganze CD insgesamt etwas spannungslos. Dies ist sicherlich Geschmackssache
Die Technik stellt das warm klingende Instrument in den Raum, ist aber geleichzeitig auf Durchhörbarkeit bedacht. Das Booklet ist durchaus informativ. Hier wäre es aber schön gewesen, wenn die Registrierungen der einzelnen Sätze mitgeteilt worden wären, zumal die Disposition Exoten wie „Ciuffoli protei“, „Bombardoni mezzanetti“ und „Falsetti dolci“ aufweist.
Fazit: Eine achtbare, aber auf Altersmilde und „Abschied von der Welt“ hin gestaltete durchaus poetische Interpretation der Orgelwerke von Johannes Brahms. Eine frischere Alternative bietet Anne Horsch bei cpo (9045820).
Thomas Baack [02.06.2020]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Choralvorspiel und Fuge über O Traurigkeit, o Herzeleid WoO 7 | 00:11:05 |
3 | Präludium und Fuge a-Moll WoO 9 | 00:06:46 |
5 | Mein Jesu, der du mich op. 122 Nr. 1 (Choralvorspiel) | 00:04:12 |
6 | Schmücke dich, o liebe Seele op. 122 Nr. 5 (Choralvorspiel) | 00:03:32 |
7 | O Gott, du frommer Gott op. 122 Nr. 7 (Choralvorspiel) | 00:05:57 |
8 | Es ist ein Ros entsprungen op. 122 Nr. 8 (Choralvorspiel) | 00:02:52 |
9 | Herzlich tut mich erfreuen op. 122 Nr. 4 (Choralvorspiel) | 00:02:18 |
10 | Herzliebster Jesu op. 122 Nr. 2 (Choralvorspiel) | 00:04:06 |
11 | O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen op. 122 Nr. 6 (Choralvorspiel) | 00:02:42 |
12 | Herzlich tut mich verlangen op. 122 Nr. 9 (Choralvorspiel) | 00:02:37 |
13 | Herzlich tut mich verlangen op. 122 Nr. 10 (Choralvorspiel) | 00:03:42 |
14 | O Welt, ich muss dich lassen op. 122 Nr. 3 (Choralvorspiel) | 00:03:05 |
15 | O Welt, ich muss dich lassen op. 122 Nr. 11 (Choralvorspiel) | 00:03:59 |
16 | Präludium und Fuge g-Moll WoO 10 | 00:09:03 |
18 | Fuge as-Moll WoO 8 | 00:08:56 |
Anton Bruckner | ||
19 | Präludium C-Dur WAB 129 (Perger Präludium) | 00:02:47 |
Interpreten der Einspielung
- Andreas Etlinger (Orgel)