La clarinette parisienne
Michael Collins • Noriko Ogawa
BIS 2497
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2019
16.07.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Der Titel „La clarinette parisienne“ charakterisiert eine Musik, die eben nur in Paris entstehen konnte. Das französische Klarinettenmodell, wie wir es heute kennen, war im Wesentlichen bereits um 1840 voll entwickelt. Als Böhm-Klarinette, benannt nach dem Flötenbauer Theobald Böhm, ist sie heute weltweit fast ausschließlich in Verwendung. Lediglich in Deutschland und Österreich findet sich das deutsche Modell, das erst Anfang des 20. Jahrhunderts im Vergleich zur Böhm-Klarinette technisch konkurrenzfähig wurde, bezüglich der Tonqualität diesem jedoch zunächst überlegen war.
So konnte das Pariser Conservatoire technische Ansprüche stellen, die hierzulande zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst noch unbekannt waren. Nach den französischen und deutschen Klarinettisten befragt, sagte Igor Strawinsky: „Franzosen: sehr gute Technik, schnelle Zunge, sehr kleiner Ton. Deutsche: nicht so gute Technik, nicht so gute Zunge, aber großer Ton“.
Wettbewerbsstücke des Pariser Konservatoriums
Für die berühmt-berüchtigte Abschlussprüfung des Pariser Konservatoriums, die als Wettbewerb ausgeschrieben wurde, lieferten französische Komponisten jedes Jahr ein „Solo de concours“, bei dem „gute Technik und schnelle Zunge“ (Staccato) im Mittelpunkt standen. Die vorliegenden Stücke von Widor (1998), Messager (1899) und Rabaud (1901) sind beste Beispiele dafür. Debussys Première Rhapsodie (1910), ebenfalls ein Wettbewerbsstück, geht mit schier unerschöpflich raffinierten tonlichen Schattierungen und Tonartwechseln jedoch weit über die pure Zurschaustellung fingerfertige Geläufigkeit hinaus. Nicht umsonst zählt das Stück seit langem zum Kernrepertoire der Klarinettenliteratur.
Ein jugendlicher Geniestreich und zwei Schwanengesänge
Das Repertoire an Bläsersonaten mit Klavierbegleitung ist zwar hochkarätig besetzt, aber nicht eben reichhaltig. Dem wollten sowohl Saint-Saëns als auch Poulenc jeweils mit einem Zyklus für die gängigen Holzbläser abhelfen. Bei beiden wurden die Stücke zum Schwanengesang: Saint-Saëns schrieb die drei Sonaten für Oboe, Klarinette und Fagott 1921, kurz vor seinem Tod. Nach der Flötensonate aus dem Jahre 1957 vollendete Poulenc 1962, ebenfalls kurz vor seinem Tod, die Sonaten für Oboe und Klarinette, zur Fagottsonate kam er leider nicht mehr.
Auch die beiden Klarinettensonaten von Saint-Saëns und Poulenc bilden die Tradition der quirlig-spritzigen französischen Klarinettenschule in reizvoller Weise ab, gehen jedoch in ihrem musikalischen Anspruch weit über die reinen Virtuosenstücke hinaus. Als spannenden Kontrast zu seiner späten Sonate für Klarinette und Klavier enthält das Programm Poulencs witzig-freche Sonate für zwei Klarinetten aus dem Jahre 1918, ein köstlicher Spaß in drei kurzen Sätzen für B- und A-Klarinette: „La clarinette parisienne“ in Reinkultur!
Michael Collins tritt den Beweis an, dass auch ein Brite die französische Klarinettensprache perfekt beherrschen kann. Allerdings ist das, was er hier hören lässt, kein „kleiner Ton“, wie ihn noch Strawinsky beschrieb. Damit meinte er den zu seiner Zeit typisch pastoral-näselnden Klarinettenton, der sich eher an der Oboe orientierte. Mittlerweile hat bei allen Bläserschulen eine klangliche Globalisierung stattgefunden. Man mag das bedauern, aber bezüglich tonlicher Eleganz und Schönheit haben dabei alle gewonnen, Collins bestätigt das mit seiner erlesenen Tonkultur in jeder Beziehung. Auf seinem französischen Klarinettenmodell aus japanischer Fertigung (Yamaha) feuert er zudem ein virtuoses Brillantfeuerwerk par excellence ab, ohne die jeweiligen musikalischen Raffinessen zu vernachlässigen. In Noriko Ogawa hat er zudem eine adäquate Partnerin, die mit bisweilen subtilster Anschlagkultur (Debussy!) seinen Intentionen folgt.
Holger Arnold [16.07.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Claude Debussy | ||
1 | Première Rhapsodie für Klarinette und Klavier | 00:07:43 |
Charles-Marie Widor | ||
2 | Introduction et Rondo op. 72 für Klarinette und Klavier | 00:07:34 |
Camille Saint-Saëns | ||
3 | Sonate Es-Dur op. 167 für Klarinette und Klavier | 00:15:14 |
André Messager | ||
7 | Solo de concours für Klarinette und Klavier | 00:05:26 |
Henri Rabaud | ||
8 | Solo de concours für Klarinette und Klavier | 00:05:16 |
Francis Poulenc | ||
9 | Sonate FP 7 für 2 Klarinetten | 00:05:42 |
12 | Sonate B-Dur FP 184 für Klarinette und Klavier | 00:13:20 |
Interpreten der Einspielung
- Michael Collins (Klarinette)
- Noriko Ogawa (Klavier)
- Sérgio Pires (Klarinette)