Ruach
Max Doehlemann • Bo Wiget
YeoTone YT 21.001
2 CD • 1h 32min • 2019, 2020, 2021
01.01.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Ankündigung im Booklet, die Komponisten Max Doehlemann (Jg. 1970) und Bo Wiget (Jg. 1971) seien mit ihrem Doppelalbum „Ruach“ „großen Fragen auf der Spur“, darf man wohl nicht so tierisch ernst nehmen, zumal am Ende versichert wird, dass die Antworten „nicht immer frei von Ironie“ ausfallen würden. Das hebräische Wort „Ruach“, das in der christlichen Tradition mit „Geist“ übersetzt wird, lässt zwar religiöse Urthemen anklingen, sie werden in den vorliegenden Stücken aber in gebrochener, säkularisierter Form behandelt. In Doehlemanns Vertonung von Psalm 95 (in hebräischer Sprache) und Wigets Sieben Lieder aus dem Hohelied ist der alttestamentarische Bezug offenkundig, ansonsten überwiegt aber der spielerisch experimentelle Umgang mit alten Texten und neuen Vermittlungsformen, bei Doehlemann auf der Grundlage eigener Textcollagen. Sowohl in GilGul wie ZimZum sucht er eine Verbindung von Musik, Literatur und Theater und vermixt Zitate von Kafka, Freud und aus der Kabbala in teilweise grotesker Form. GilGul wurde für das Solo-Programm des Duos Andrea Chudak (Sopran) und Ekaterina Gorynina (Cello) komponiert und 2018 uraufgeführt. Der Komponist sieht darin „ein magisches Ritual, sozusagen eine Art spiritistischer Séance im Sekundenschlaf“. Um Spiritismus geht es auch in ZimZum (meint das Zurückweichen Gottes), doch das Medium erweist sich am Ende als Betrügerin. Hier werden Chudak und Gorynina durch einen Bariton, der zugleich auch Sprecher ist, sowie eine instrumentale Formation aus Schlagzeug, Gitarre und Akkordeon ergänzt.
Mama und Dada
In vieler Hinsicht scheinen mir sowohl Doehlemann wie Wiget die Tradition des Dadaismus wieder aufzunehmen, in dem traditionelle Kunstformen in satirischer Weise aufgelöst und in ihre Bestandteile zerlegt wurden. Das wird vor allem in Wigets Mamalieder I + II evident, in denen die Konsonanten M und A sich in permanenter Mutation befinden, im ersten Zyklus in einem eher realistischen Wechselspiel von Kleinkind und Mutter, wobei Gorynina die Sängerin nicht nur auf dem Cello traktiert, sondern gelegentlich auch kreischend dazwischenfährt, im zweiten beschränken sich drei Männer auf ein Sprechtrio in ständig wechselnden Rhythmen. Beide Zyklen sind für die Aufnahme ineinander verschachtelt. Auch in Doehlemanns Kantate Der Bär antwortet, einer „mild-spöttischen pantheistischen Hymne“, die das Album einleitet, finden sich bereits im Text Sören Heims, aber mehr noch in der Musik dadaistische Momente. Das beginnt schon in der Besetzung für Sopran, Trompete und Orgel und setzt sich in der Abfolge von Fugen fort, die eine pseudo-sakrale Aura schaffen.
Überzeugende Umsetzung
Andrea Chudak erweist sich bei allen ihren Einsätzen als ungemein ausdrucksvariable Interpretin. Auch ihre Partnerin Ekaterina Gorynina versteht ihrem Instrument ungewohnte Klänge zu entlocken. In Doehlemanns reinen Instrumentalstücken (Thema und Variationen für Gitarre solo, Oxymoron) glänzen der Gitarrist Chico Mello und der Bratschist Stefan Kelber. Aus seiner Konfrontation mit vom Komponisten bedienter Live-Elektronik entstehen reizvolle Klanggebilde. Im letzten Titel des Doppelalbums (Wigets Sieben Lieder aus dem Hohelied) fasziniert die altägyptischer Musik nachempfundene Begleitung der Barockvioline und eines Blockflötenensembles, die die Rezitation der Schauspielerin Eva Brunner (Wigets Frau) gleichsam zärtlich umhüllt.
Ekkehard Pluta [01.01.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Max Doehlemann | ||
1 | Der Bär antwortet | 00:12:16 |
2 | GilGul (Groteske. Miniatur-Musiktheater für Sopranistin und Cello) | 00:13:14 |
3 | Thema und Variationen für Gitarre | 00:06:09 |
4 | Psalm 95 für Sopran, Bariton, Klavier und Bratsche | 00:08:22 |
5 | ZimZum | 00:11:15 |
6 | Oxymoron für Bratsche und Live-Elektronik | 00:07:24 |
CD/SACD 2 | ||
Bo Wiget | ||
1 | Mamalieder I für Sopran und Violoncello | 00:09:34 |
3 | Mamalieder II für 3 Sprecher | 00:07:01 |
11 | Sieben Lieder aus dem Hohelied für Sprecherin und Barockinstrumente | 00:16:35 |
Interpreten der Einspielung
- Andrea Chudak (Sopran)
- Lars Ranch (Trompete)
- Robert Prof. Dr. Knappe (Orgel)
- Ekaterina Gorynina (Violoncello)
- Chico Mello (Gitarre)
- Georg Streuber (Bariton)
- Stefan R. Kelber (Viola)
- Max Doehlemann (Klavier)
- Martin Engler (Stimme)
- Christian Filips (Stimme)
- Bo Wiget (Stimme)
- Eva Brunner (Sprecherin)
- Martin Ripper (Blockflöte)
- Susanne Walter (Barockvioline)