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Besprechung CD

Irgendwo auf der Welt

Es-Dur ESv2087

1 CD • 70min • 2021

06.10.2022

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Seit acht Jahren arbeiten die Sopranistin Pia Davila und die Pianistin Linda Leine als Duo zusammen und haben dabei in der Musik von im Dritten Reich verfemten Komponisten und Komponistinnen ein noch weitgehend unerschlossenes Terrain entdeckt. Die Beschäftigung mit deren Werken soll dabei mehr sein als ein gut gemeinter Akt der Wiedergutmachung, vielmehr der Versuch, lange verborgene Schätze wieder ins rechte Licht zu rücken. Einige Titel dieses Albums sind in letzter Zeit schon in anderen Programmen aufgetaucht, in vielen Fällen waren mir – zumindest bei den Damen – noch nicht einmal die Namen bekannt.

Wiederentdeckung verfolgter Komponisten

Ilse Weber (1903-1944) wurde in Auschwitz ermordet, die Niederländerin Rosy Wertheim (1888-1949) überlebte im Untergrund, Ruth Schonthal (1924-2006) und Ursula Mamlok (1923-2016) gelang auf Umwegen die Flucht nach Amerika, wo ihre eigentliche kompositorische Ausbildung erst begann, Schonthal studierte dort bei Hindemith. Paul Frankenburger (1897-1984) emigrierte 1935 nach Palästina und nannte sich fortan Paul Ben-Chaim. Joseph Achron (1886-1943), vor allem als Geiger berühmt geworden, lebte schon seit 1925 in den Vereinigten Staaten, Oskar Fried (1871-1941), 1934 in die Sowjetunion ausgewandert, hat als Uraufführungsdirigent einiger Mahler-Sinfonien Musikgeschichte geschrieben, sein eigenes, sehr umfangreiches kompositorisches Œuvre ist dagegen in Vergessenheit geraten. Letzteres gilt auch für den Wiener Erich Zeisl (1905-1959), der 1939 über Paris nach Amerika gekommen war und mit nur schmalem Erfolg versuchte, in Hollywood Fuß zu fassen. Er ist in diesem Album gleich mit sieben Titeln von sehr unterschiedlicher Stimmung vertreten, drei davon der Regenthematik gewidmet, die seiner persönlichen Befindlichkeit angesichts der Bedrohung sehr wohl entsprach.

Vorwiegend heiter

So bedrückend die Schicksale dieser Komponisten waren, so vorwiegend heiter sind ihre Lieder in der vorliegenden Auswahl. Mensch und Natur, Menschen und Tiere sind das übergeordnete Thema des Programms, das in sechs Kapitel mit lapidaren Titeln wie „Zwitschern“, „Rinnen“, „Schnurren“, „Ruhen“, „Trösten“ und „Hoffen“ aufgeteilt ist. Vogelgesänge, Regen-Impressionen, Katzenfrauen und Schäferidyllen kommen darin vor, bevor der Hörer mit Werner Richard Heymanns noch heute beliebtem Tonfilm-Schlager Irgendwo auf der Welt hoffnungsfroh entlassen wird. Es ist ein Lieblingslied der beiden Künstlerinnen. Unter den Textautoren finden sich klassische Namen wie Goethe, Nietzsche, Arno Holz und Kästner, ein Teil der Lieder gehört aber dem leichten Genre an, stammt aus Brettl, Cabaret und Berliner Revuen. So Arnold Schönbergs Der genügsame Liebhaber, Georg Kreislers Frühlingslied (Tauben vergiften) oder der durch die Comedian Harmonists berühmt gewordene Song Mein kleiner grüner Kaktus. Die Genres der Lieder geben es weitgehend vor, dass sich die Vertonungen in einem vertrauten Rahmen halten und nicht zu avantgardistischen Experimenten einladen. Selbst Stefan Wolpe, der zeitweise Schüler von Anton Webern war und sich auch in der Zwölftonmusik versuchte, orientiert sich in Kästners Ansprache einer Bardame eher an Kurt Weill.

Man hört Pia Davila und Linda Leine die schiere Lust an diesem Programm an und sie wissen sie auch dem Hörer zu vermitteln. Ich bewundere besonders das brillante und pointierte Spiel der Pianistin, die neben der herausfordernden Begleitung der Lieder auch drei Solostücke beiträgt, darunter einen Walzer aus der mir bis dato nicht bekannten Sonate (1952) von Georg Kreisler, in dem sich Wienerische und amerikanische Unterhaltungsmusik reizvoll aneinander reiben. Bei der ebenfalls blendenden und stimmlich interessanten Sopranistin hätte ich mir in einigen Fällen (etwa dem Tauben vergiften) den Text noch mehr ausgestellt gewünscht. Frau Davila artikuliert zwar deutlich, geht aber die Texte insgesamt sehr defensiv an. Vor allem die Kleinkunstlieder verlangen ein „prima le parole“, sonst besteht die Gefahr, dass die Stimme das Klavier begleitet und nicht umgekehrt. Am überzeugendsten geraten ihr die gefühlvollen Lieder wie die in Theresienstadt komponierte Berceuse Wiegala von Ilse Weber oder A woman’s Last Word (1977) von Ruth Schonthal.

Ekkehard Pluta [06.10.2022]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Erich Zeisl
1Vor meinem Fenster 00:01:44
Joseph Achron
2Das Täubchen flog vorüber 00:02:43
Arnold Schönberg
3Im Fliederbusch ein Vöglein saß 00:02:38
Georg Kreisler
4Klaviersonate (II. Waltz. Graceful, but not too fast) 00:03:35
Ruth Schonthal
5Poor Bit of a Wench 00:01:10
Erich Zeisl
6Die fünf Hühnerchen 00:01:02
Georg Kreisler
7Frühlingslied (Tauben vergiften) 00:02:23
Erich Zeisl
8So regnet es sich langsam ein 00:02:42
9Ein Regentag 00:02:21
Ilse Weber
10Und der Regen rinnt 00:02:13
Erich Zeisl
11Regen 00:01:56
Georg Kreisler
12Zufall auf den Wiesen 00:02:35
Mischa Spoliansky
13Ich bin ein Vamp! 00:04:25
Arnold Schönberg
14Der genügsame Liebhaber (aus: Brettl-Lieder) 00:02:45
Othmar Schoeck
15Warum leckst du dein Mäulchen? 00:00:37
Rudi Stephan
16Pantherlied 00:01:02
Erich Zeisl
17Der Schäfer 00:01:48
18The Lonely Shepherd 00:04:40
Ilse Weber
19Wiegala 00:03:09
Paul Ben-Haim
20Arabic Song 00:02:14
Ursula Mamlok
21On Top of a Hill 00:01:28
Ruth Schonthal
22A Woman's Last Word 00:04:14
Rosy Wertheim
23Scherzo 00:02:29
Bert Reisfeld
24Mein kleiner grüner Kaktus 00:02:45
Oskar Fried
25So sprach ein Weib voll Schüchternheit 00:01:26
Erich Zeisl
26Kater 00:01:22
Stefan Wolpe
27Ansprache einer Bardame 00:04:22
Werner R. Heymann
28Irgendwo auf der Welt 00:04:13

Interpreten der Einspielung

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