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J.S. Bach | C.P.E. Bach | W.F. Bach
Challenge Classics CC72960
1 CD • 65min • 2022
13.07.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Johann Sebastian Bach und seine beiden ältesten Söhne Wilhelm Friedemann (1710-1784) und Carl Philipp Emanuel (1714-1788) stehen im Vordergrund dieser CD. Wilhelm Friedemann begann seine Karriere 1733 in Dresden als Organist der Sophienkirche; Carl Philipp Emanuel hatte 1731 in Leipzig ein Jurastudium aufgenommen, wechselte zwei Jahre später nach Frankfurt an der Oder und studierte dort bis 1738. In diesem Jahr wurde er – seit seiner Leipziger Jugendzeit ein renommierter Solist auf dem Cembalo – vom preußischen Kronprinzen Friedrich, dem nachmaligen König Friedrich II., als Kammercembalist an dessen Hofkapelle engagiert. Beide Brüder stellen bedeutende Akteure des musikalische Aufbruchs im 18. Jahrhundert dar, der dem spätbarocken Höhepunkt der Meisterschaft ihre Vaters und Lehrers J. S. Bachs folgte.
Väterliche Beurteilung
Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel erfuhren von ihrem Vater durchaus unterschiedliche Beurteilungen, die voneinander weiter abwichen, als die auf dieser CD dokumentierten Werke beider Söhne vermuten lassen: Auf Wilhelm Friedemann soll Vater Bach das Bibelzitat „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ angewandt haben, Carl Philipp Emanuel erhielt nach dem Engagement an den preußischen Kronprinzenhof den lakonischen Kommentar: „’S ist Berlinerblau! ’S verschießt!“.
Profundes Missverständnis
Was die Wirkung seiner beiden Ältesten auf ihre Zeitgenossen angeht, hat sich Vater Bach offenbar gründlich getäuscht; denn wenn man am Ende des 18. Jahrhundert von „Bach“ sprach, meinte man weder ihn noch seinen Ältesten, sondern Carl Philipp Emmanuel, einen der wichtigen Stilbildner der deutschen Musik seines Jahrhunderts: Weder der Vater – der „alte Bach“ genannt – noch sein Lieblingssohn Wilhelm Friedemann waren an der Pforte zum neuen Jahrhundert noch Gegenstand des musikalischen Diskurses. Am Beginn des 19. Jahrhunderts geschah dann die Wiederentdeckung und „Heiligsprechung“ J. S. Bachs; Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel gerieten bis ins 20. Jahrhundert in Vergessenheit – im Zuge der Rehabilitierung der Musik des 18. Jahrhundert durfte dann zunächst Carl Philipp und später in begrenztem Ausmaß auch Wilhelm Friedemann wieder einen gerechten Platz unter den Komponisten einnehmen.
Emblematische Werke
Sowohl der Vater wie auch seine Söhne stehen mit Werken auf dem Programm dieser CD, die ihr jeweiliges Schaffen in besonderer Weise charakterisieren. Carl Philipp Emanuels dritte Hamburger Sinfonie in C-Dur eröffnet das Programm: Die berühmte Reihe der sechs „Hamburger“ Sinfonien entstand 1773 im Auftrag des Barons Gottfried van Swieten, eines bedeutenden Mäzens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der auch als Gönner Haydns und Mozarts in Erinnerung der Musikgeschichte geblieben ist.
Der ältere Bruder Wilhelm Friedemann Bach war trotz seiner immensen musikalischen Begabung offensichtlich weniger in der Lage, sich wie sein Bruder unter die Hauptakteure der Musik seiner Epoche einzuordnen. Bei aller Wertschätzung seiner Befähigung durch seinen Vater scheint ein gewisser unsteter Zug seines Charakters sein Fortkommen schon zu Lebzeiten behindert zu haben, und das hat offensichtlich auch in der Folgezeit zur Enstehung der Legende vom „verlorenen Sohn“ beigetragen, die später die musikgeschichtliche Beurteilung dieses Bach-Sohnes überschattet hat. Seine hier eingespielte Sinfonie in F-Dur beweist allerdings, dass er als Komponist seinem jüngeren Bruder im musikalischen Aufbruch der Generation der „Bach-Söhne“ ganz und gar ebenbürtig war.
Vorausweisende Kompositionen des Vaters
Vater Bach ist ebenfalls auf dieser CD mit zwei Werken vertreten, die ihn als als wachen Teilnehmer des musikalischen Diskurses seiner Generation zeigen: In seinen während der Zeit als Hofkapellmeister des Fürsten von Anhalt-Köthen zwischen 1717 und 1721 entstandenen Brandenburgischen Konzerten zeigt er all seine Fähigkeiten, die ihn als Komponisten des seinerzeit hochmodischen Gruppenkonzerts auszeichnen. Die Brandenburgischen Konzerte zählen bis heute zu seinen populärsten Kompositionen; man kann sich gut vorstellen, dass sie auch ein Teil des Leipziger konzertanten Musiklebens des Thomaskantors und Musikdirektors Bach waren, den Söhnen von kleinauf vertraut.
Gelungenes Familienporträt
Mit dem Gespann des Vaters und seiner ältesten Söhne zeigt diese CD ein Familienporträt, das J. S. Bach neben seiner immensen Bedeutung für die europäische Musikgeschichte (die erst im 19. Jahrhundert ihr musikgeschichtliches Gewicht erhielt) auch als prägendes Vorbild der beiden Söhne zeigt, von denen allerdings jeder eine ausgesprochen eigene musikalische Individualität entfaltet hat.
Differenzierte Darstellung
Dem Elbipolis Barockorchester Hamburg gelingt hier ein Familienporträt, das den Vater als wachen Teilnehmer am orchestralen Musikleben seiner Zeit ebenso darstellt, wie es auch die durchaus eigenständige Haltung der beiden ältesten Söhne zum musikalischen Neuaufbruch ihrer Generation deutlich macht. Die musizierfreudige Haltung der Interpreten dieser Einspielung ist frei von vordergründigen Mätzchen und erlaubt ihren Zuhörern eine knappe, genussreiche Stunde, Zaungäste einer Familie des deutschen Musiklebens zu sein, die mit reichen Genies gesegnet war.
Detmar Huchting [13.07.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Philipp Emanuel Bach | ||
1 | Sinfonie C-Dur Wq 182 Nr. 3 (Hamburger Sinfonie) | 00:09:42 |
Johann Sebastian Bach | ||
4 | Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048 | 00:10:46 |
7 | Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050 | 00:20:43 |
Wilhelm Friedemann Bach | ||
10 | Sinfonie F-Dur Falck 67 | 00:13:07 |
Interpreten der Einspielung
- Elbipolis Barockorchester Hamburg (Barockorchester)
- Jürgen Groß (Leitung)