Unconventional Journey
Liebermann | Haydn | Kapustin
Trio Revolution
Ars Produktion ARS 38 644
1 CD • 56min • 2023
05.06.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Differenzierungsvermögen, Klang- und Formsinn sowie ausgehört subtile Dynamik bei ganz unterschiedlichen Musikstilen bilden den gemeinsamen Nenner der drei Interpreten dieser Aufnahme, die in Georgien aufgewachsen sind. Pianistin Ketevan Sepashvili und Flötist Temo Kharshiladze leben heute in Wien, Cellist Sandro Sidamonidze vornehmlich in New York, wo 1961 der Komponist Lowell Liebermann, der auch als Pianist und Dirigent tätig ist, geboren wurde. Der über 60jährige zählt zu den vielleicht meistaufgeführten US-amerikanischen Komponisten. Sein Trio op. 87, 2004 komponiert, nimmt sich mehr als zwanzig Minuten musikalische Raumzeit, das Werk klingt mal episch ausladend, mal orientalisch verschlungen; später in der 10. und 15. Minute wird es fast statisch, auf der Stelle tretend, nurmehr auf geringster Fläche bewegt. Das tonale Subjekt scheint hier den Tiefpunkt zu erreichen, seelisch verlassen, doch kristallin, und hier artikulieren sich gefrorene Klavierklänge (Fazioli!).
Dabei steht dieses Trio stilistisch außerhalb gängiger Schubladen. Allein für die Flöte entsteht eine Art zwanzigminütiger Enzyklopädie – dank dem phänomenalen Spiel des Georgiers. Und: Wer konzentriert zuhört, hält – nach Prestissimo-Stretta und Ultima – den Atem an, so stimmig, erscheinen Spannung und Form aufgelöst. Mit Blick auf die Werkmitte könnte man sich, was die leisesten Partien betrifft, an den japanischen Satz erinnert fühlen: Die Stille in den Bergen – sie wird mit dem Schrei des Vogels noch stiller ...
Innigkeit und klassische Frische in D-Dur
Von den beiden Werken der Postmoderne eingerahmt ist ein überzeugend realisiertes dreisätziges Flötentrio Joseph Haydns (Hob. XV:16). Auf recht unerhörte Weise hören wir eine Art musikalisches Spät-Rokoko mit der Modernität frischer, entstaubter Aufführungspraxis und zeitloser Natürlichkeit verbunden (wobei allein der Werkbeginn mich an das Initium jener Clementisonate erinnert, die Meisterpianist A. B. Michelangeli einst aufs eleganteste dem Vergessen entriss). Die Pianistin, etwa zu Beginn des 2. Satzes, wagt immer mal wieder die subtilen Grenzen des Ausführbaren, bis an die Grenze von Fragilität und Brüchigkeit, soweit es der klassische Stil (ver)trägt. Brava!
„Pyromanik“ - Kammermusik mit Jazz-Pfeffer
Wiederum restlos überzeugen die Musiker bei Nikolai Kapustin (1937–2020) im
Trio op. 86. Auch dieses Werk sprengt Stil-Schubalden. Kapustin, geboren in der Ukraine, sowjetrussisch-jüdischer Abstammung, trat in jungen Jahren (auch) als exzellenter Jazz-Pianist und Arrangeur hervor, zeitweilig unterhielt er ein eigenes Quintett, gleichzeitig war er in Moskau Mitglied in J. Saulskis Bigband. Sein Opus 86 beglückt natürlich nicht nur nach Art des Bebop, sondern zeitweise durch filigranen Satz, schließlich dominiert kammermusikalische Pyromanik. Die Musik erlaubt sich, immer mal wieder übermütig zu klingen. Durch alle Feuerreifen, durch welche die Musizierenden hindurchspringen, bewahren sie ein Höchstmaß gestalterischer Kontrolle – die hohe Kunst gegenseitiger Proportionierung ohnehin.
Fazit: Eine überaus hörenswerte Stunde Musik, gerade bei hochwertigem Abspielgerät auch mehrmals! (Benutzt habe ich Marantz-Player und Elektrostaten von Martin Logan bzw. Stax sowie, anderntags, Onkyo Integra und AKG Kopfhörer.)
Dr. Matthias Thiemel [05.06.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Lowell Liebermann | ||
1 | Trio Nr. 2 op. 87 für Flöte, Violoncello und Klavier | 00:20:31 |
Joseph Haydn | ||
2 | Trio Nr. 12 D-Dur Hob. XV:16 für Klavier, Flöte und Violoncello | 00:16:43 |
Nikolai Kapustin | ||
5 | Trio op. 86 für Flöte, Violoncello und Klavier | 00:19:02 |
Interpreten der Einspielung
- Trio Revolution (Klaviertrio)