Johann Sebastian Bach
Complete Solo Cantatas for Alto and Bass
cpo 555 690-2
2 CD • 58min • 2023
23.09.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das Jahr 1726, so informiert uns der aufschlussreiche Booklet-Beitrag von Peter Wollny, stellte eine Wende im reichen Kantatenschaffen von Johann Sebastian Bach dar. Anstelle der opulenten Orchesterbesetzungen und klangprächtigen Chöre, die vorher das Leipziger Publikum entzückt hatten, traten nun fein ausgearbeitete Arien, die mit kleinen Instrumentalensembles korrespondierten. Und bei den bevorzugten Texten, die großenteils von dem Leipziger Theologie-Studenten Christoph Birkmann und dem nachmaligen Darmstädter Hofpoeten Georg Christian Lehms stammten, trat nun das lyrische und bekennende Ich in den Mittelpunkt. Diese „Ich“-Kantaten der Jahre 1726/27 machen den wesentlichen Teil der vorliegenden Doppel-CD aus.
Zuversicht statt Weltekel
Die subjektiven Bekenntnisse haben als gemeinsamen Nenner die Erkenntnis: Die Welt ist ein Jammertal und ein „Sündenhaus“ und der Heimgang zu Gott das höchste erstrebenswerte Ziel: Komm, o Tod, du Schlafes Bruder (BWV 56), Welt ade, ich bin dein müde (BWV 158), Mir ekelt mehr zu leben (BWV 170), Ich freue mich auf meinen Tod (BWV 82) und so fort. Alles Glück der Welt ist nichts als eitel Tand, das gilt insbesondere für die „verworfnen Fleischestriebe“. Für einen heutigen Hörer, auch wenn er gläubiger Christ ist, sind das ziemlich ungenießbare Texte und es ist nicht auszudenken, was ein mittelmäßig begabter Komponist daraus gemacht hätte. Doch Bachs Vertonungen zeugen weniger von Lustfeindlichkeit und Zerknirschung als von innerer Heiterkeit und froher Zuversicht. Der Lebensekel in BWV 170 wird in einer tänzerischen Arie zum Ausdruck gebracht, die von virtuosem Passagenwerk der Orgel untermalt wird. Und die Todessehnsucht in BVW 82 tut sich ebenfalls in einem beschwingten Tanzsatz und in halsbrecherischen Basskoloraturen kund.
Meister des Recycling
Zwei der hier aufgenommenen Kantaten werden durch längere Instrumentalsätze (Sinfonia) eingeleitet, Geist und Seele wird verwirret (BWV 35), zweiteilig angelegt, enthält gleich deren zwei. Der vielbeschäftigte Bach war auch ein Meister des Recycling (und musste es bei seiner Arbeitsbelastung auch sein) und so ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen drei Orchesterstücken um bereits vorhandene und in einem anderen Zusammenhang verwendete Kompositionen handelt, in BWV 35 offenbar um Orgelkonzerte mit Orchester. Im Falle von BWV 169 (Gott allein soll mein Herze haben) steht fest, dass er die Sinfonia noch einmal als Kopfsatz in seinem Cembalokonzert in E-Dur (BWV 1053) verwendet hat.
Musikalische Diesseitsfreude
Die vorliegende Sammlung ist in der Interpretation des L’Orfeo Barockorchesters ein Dokument musikalischer Diesseitsfreude. Die Gründerin und Leiterin des Ensembles, Michi Gaigg, ist diesmal nicht als Dirigentin genannt, doch ist davon auszugehen, dass sie als Konzertmeisterin nicht nur den Takt, sondern auch den interpretatorischen Ansatz vorgegeben hat. Die nur 15 Musiker bilden in den voll besetzten Sätzen einen imponierenden Tutti-Klang, die Soli von Oboe und Violine sind brillant und das Orgelspiel von Jan Jansen mitreißend. Die als Bach-Spezialisten ausgewiesenen Sänger Margot Oitzinger (mehr Mezzosopran als Alt) und Peter Kooij (mehr Bariton als Bass) werden ihren Parts nicht nur technisch und stilistisch gerecht, sondern erfüllen auch die Rezitative mit beredtem Ausdruck.
Ekkehard Pluta [23.09.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Ich will den Kreuzstab gerne tragen BWV 56 (Kreuzstabkantate, Kantate zum 19. Sonntag nach Trinitatis) | 00:17:33 |
6 | Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust BWV 170 (Kantate zum 6. Sonntag nach Trinitatis) | 00:20:33 |
11 | Widerstehe doch der Sünde BWV 54 (Kantate zu Oculi, 3. Fastensonntag) | 00:09:57 |
14 | Der Friede sei mit Dir BWV 158 (Kantate zum 3. Ostertag) | 00:08:20 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Geist und Seele wird verwirret BWV 35 (Kantate zum 12. Sonntag nach Trinitatis) | 00:25:35 |
8 | Ich habe genug BWV 82 (Kantate zum Fest Mariä Reinigung) | 00:21:05 |
13 | Gott soll allein mein Herze haben BWV 169 (Kantate zum 18. Sonntag nach Trinitatis) | 00:21:47 |
Interpreten der Einspielung
- Margot Oitzinger (Alt)
- Peter Kooij (Bass)
- Jan Jansen (Orgel)
- L' Orfeo Barockorchester (Orchester)