Robert Schumann
Werke für Orgel oder Pedalflügel
Henry Fairs
Ars Produktion ARS 38 376
1 CD/SACD stereo/surround • 67min • 2024
20.11.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Henry Fairs, Preisträger vieler Orgelwettbewerbe und seit 2020 Professor für künstlerisches Orgelspiel an der Universität der Künste zu Berlin, der bereits eine höchst beachtliche Gesamtaufnahme der Orgelwerke Maurice Duruflés bei Naxos vorlegte, widmet sich in seinem neuesten Projekt dem kompletten Orgelwerk von Robert Schumann. Dieses entstand allerdings ursprünglich nicht für die Orgel, sondern für ein Klavier mit vorgesetzter Pedalklaviatur, was aufgrund ausgesprochen pianistischer Effekte die Interpretation auf der Orgel erschwert, weshalb diese Werke eher selten gespielt werden.
Clara und Robert? Nachsitzen!
Während seiner Schreibblockade der Jahre 1843/44 erkannte Schumann, der ja nie an einem Konservatorium studiert hatte, dass es im Fach „Kontrapunkt“ noch erhebliche Lerndefizite gab. Ebenso hatte auch Clara sich nur die Dinge erarbeitet, die man als konzertierende Virtuosin eben brauchte. Deshalb liehen sich die beiden im April 1845 eine Pedalklaviatur, um daheim Orgelwerke – vornehmlich diejenigen Bachs – intensiv studieren zu können. Dieses Pedalklavier regte den Komponisten dann zu seinen 6 Studien in Kanonform op. 56, den 4 Skizzen für den Pedalflügel op. 58 und den 6 Fugen über B-A-C-H op. 60 an. Die Fugen bezeichnete er in einem Brief an seinen Verleger als „…eine Arbeit, von der ich glaube, dass sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird.“ Alle drei Opera sind zukunftsweisend: Die Studien und teilweise die Skizzen für das französische Stimmungsstück eines Lemmens, Guilmant oder Widor (Anspieltipp Tr. 5, der genauso gut eine Sortie von Lefébure-Wély sein könnte); die Fugen für das Orgelwerk Max Regers. Letzteren dürften besonders die zu Beginn und Schluss stehenden „Steigerungsfugen“ beeindruckt haben. Dieses Prinzip der durchgehenden Steigerung setzte Bach erstmalig in seiner Es-Dur-Fuge – allerdings noch abschnittsweised wie in Ricercar und Canzona – um. Mendelssohn und Schumann kamen wohl gleichzeitig – darin durchaus auch von Beethoven beeinflusst – auf den Gedanken, die Steigerung vom Adagio im pp zum Allegro im ff in eine durchgehende Gestalt zu gießen.
Kristian Wegscheider auf den Spuren von C. A. Buchholz
Die relative Unbeliebtheit der drei Schumannschen Opera beruht auf der Tatsache, dass sie auf den meisten Orgeln nur schwer zu realisieren sind. Ist die Disposition zu orgelbewegt steil, sind sanfte Übergänge kaum zu realisieren, ist sie zu spätromantisch-schwelgerisch, verschwimmt die Polyphonie. Zudem sind die dynamischen Akzente des besaiteten Instruments durch Agogik nur annäherungsweise zu ersetzen. Henry Fairs nutzt nun die Gelegenheit uns Hörer mit dem frühromantischen Klangideal eines Carl August Buchholz bekannt zu machen, das Kristian Wegscheider für die Kirche in Alt-Pankow anhand sorgfältiger Vergleiche mit den Mensuren der Orgeln in Brasov (Kronstadt) und Stralsund nachempfunden hat. Buchholz arbeitete in der Tradition von G. Silbermann und Johannes Wagner, disponierte jedoch eine reichere Palette an gut miteinander kombinierbaren Achtfüßen und ein Schwellwerk. Für Schumanns Kompositionen ist die rund und warm klingende Nachschöpfung von Wegscheider mit 27 Registern auf 2 Manualen ideal.
Gelungene, wenn auch nicht perfekte Interpretation
Hätte Schumann in seinen Haus- und Lebensregeln die Organisten berücksichtigt, fände sich dort vielleicht der Satz „Spiele die Orgel nie schneller, als die großen Pedalpfeifen ansprechen können“. Henry Fairs versucht an der Orgel Schumanns recht rasche Originalmetronomisierungen umzusetzen, was ihn in der 5. BACH-Fuge (Tr. 15) dann doch ins Schleudern bringt. Jens E. Christensen, der die äußerst pianistischen Skizzen in seiner Aufnahme auslässt und die beiden verbleibenden Opera aus Gründen der Abwechslung mischt, benötigt für dieses Perpetuum mobile in Sechszehnteln 3’30“, Fairs kommt auf zu geschwinde 2‘20“. Hinsichtlich Lyrik und Espressivo nehmen sich beide Organisten nicht viel. Christensen geht allerdings analytischer an die Werke heran, was etwas gelehrt wirken kann, Fairs schwelgt dafür mehr in den Harmonien und spielt die 6 BACH-Fugen am Stück, was wegen der quasi sonatenmäßigen Abfolge Schumanns Intentionen eher entsprechen dürfte, dem Hörer jedoch weitaus größere Konzentration abverlangt. Mitlesen der Partitur ist hierbei dringend angeraten!
Das Booklet – vom Interpreten selbst verfasst – bietet eine exzellente Einführung in die Werke und den frühromantischen Orgelbau, was auch wegen der ausgezeichnet stimmigen Aufnahme zu einer Aufwertung des Gesamteindrucks führte.
Fazit: Wer eine wohlklingende Gesamtaufnahme des Schumannschen Orgelwerks wünscht, die auch hinsichtlich der Klangwelt frühromantischer Orgeln lehrreich ist, sollte zumindest einmal per Streaming hineinhören. Die witzig ausgekostete groteske „Sortie“ (Tr. 5) könnte es in die Hitparade der Hi-Fi-Messen schaffen.
Vergleichsaufnahme: Jens E. Christensen, OUR Recordings.
Thomas Baack [20.11.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Sechs Studien für den Pedal-Flügel op. 56 (Sechs Stücke in kanonischer Form) | 00:19:26 |
7 | Vier Skizzen op. 58 für den Pedalflügel | 00:15:37 |
11 | Sechs Fugen über B-A-C-H op. 60 für Orgel oder Pedalflügel | 00:30:19 |
17 | Albumblatt op. 124 Nr. 20 | 00:01:16 |
Interpreten der Einspielung
- Henry Fairs (Orgel)