Beethoven & Lentz
Arabella Steinbacher
Luxembourg Philharmonic • Gustavo Gimeno

Pentatone classics PTC 5187 240
1 CD • 80min • 2024, 2023
09.05.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nachdem die Violinistin Arabella Steinbacher vor zwei Jahren Bach und Pärt auf einem Album kombiniert hat, koppelt sie nun erneut einen Klassiker mit zeitgenössischer Musik, nämlich Beethovens Violinkonzert mit demjenigen von Georges Lentz, Jg. 1965. Bei letzterem handelt es sich um eine neue Komposition, die Steinbacher selbst in Auftrag gegeben und natürlich auch uraufgeführt hat. Begleitet wird sie vom Philharmonischen Orchester Luxemburg unter der Leitung seines aktuellen Musikdirektors Gustavo Gimeno.
Die Himmel erzählen
Der gebürtige Luxemburger Georges Lentz lebt seit 1990 in Australien bzw. pendelt mittlerweile zwischen Sydney und Berlin. Lentz ist ein Komponist, der sich auf die Komposition ganz weniger, sorgfältig ausgewählter Werke konzentriert, an denen er dann in einem sich oftmals über Jahre erstreckenden Prozess feilt. Dabei scheut er keine Extreme: zu den wenigen CD-Veröffentlichungen mit seiner Musik zählt u.a. auch ein einstündiges Werk für E-Gitarre solo, und seine Klanginstallation String Quartet(s) erstreckt sich gar über 43(!) Stunden. Dergleichen ist aber kein allgemeines Prinzip, denn man findet in seinem Katalog sehr wohl auch Stücke von etwa 10 bis 20 Minuten Dauer. Dabei schreibt Lentz im Grunde genommen seit 1989 an einem einzigen Meta-Werk, einem Zyklus namens Caeli enarrant... („Die Himmel erzählen“, nach Psalm 19). Einige seiner Teile sind schon lange fertig, aber speziell Caeli enarrant... VII, auch Mysterium genannt, ist seinerseits zu einem riesigen Subzyklus geworden. Eines seiner Teile, entstanden Anfang des Jahrhunderts, ist ein Violakonzert, und auch das hier vorgestellte neue Violinkonzert ist Teil von Caeli enarrant... VII.
Eine sehr breite Palette
Es kommt vieles zusammen in diesem Werk, entstanden von 2018 bis 2023, allein schon, wenn man Lentz’ eigene Kommentare dazu liest: der Titel ...to beam in distant heavens ist ein Zitat aus William Blakes Gedicht Jerusalem, dessen apokalyptische Visionen Lentz (nicht nur hier) inspiriert haben, einer der Abschnitte ist An Elegy for our Grandchildren’s Planet überschrieben, konzipiert als sehnsuchtsvoller hypothetischer Rückblick der Erdbewohner des Jahres 2100 auf unsere heutige Welt („damals noch bewohnbar“), und die in den Schlusstakten zunehmend kurzatmige Rhythmik soll „maschinenartige digitale Codes“ suggerieren, die in den „Zusammenbruch jeglicher Menschlichkeit“ münden. Auf musikalischer Ebene arbeitet Lentz u.a. mit räumlichen Effekten (die Solovioline beginnt zunächst hinter der Bühne) und passagenweise mit elektronischen Klängen. Offen gestanden wuchs bei mir nach der Lektüre dieser Zeilen zunächst eine nicht unbeträchtliche Skepsis.
Unbedingter Wille zur Expression
Völlig entgeht das einsätzige Konzert zwar in der Tat nicht dem naheliegenden Eindruck einer gewissen Überladenheit, aber insgesamt war ich nach eingehendem Hören doch positiv überrascht. Was das Werk zusammenhält, ist nicht zuletzt sein unbedingter Wille zur Expression, und diese funktioniert völlig unabhängig davon, welche Bilder nun Lentz selbst oder der Hörer dazu im Kopf hat. Drei Gestaltungsmitteln kommen besondere Bedeutung zu: zum einen kadenzierende Passagen mit (Beginn) oder eben ohne (im Laufe von Track 7) Begleitung, die viel mit wuchtiger Akkordik und leeren Saiten arbeiten. Neben dem von Lentz selbst genannten Violinkonzert von Alban Berg kommt mir dabei auch die Solomusik von Bach in den Sinn, wie die Solovioline übrigens überhaupt das ganze Werk hindurch sehr präsent ist, das insofern auch physisch eine Herausforderung sein muss, die Steinbacher fulminant bewältigt. Zum anderen begegnet man (vgl. u.a. Track 5) orchestralen Eruptionen von archaischer Wucht, und schließlich aber auch immer wieder lyrischen „Inseln“ (à la Pettersson). So ist die Grundmotivik, der melodische Keim der besagten Elegie schon vorher längst präsent, und auch gegen Ende wird sie noch einmal aufgegriffen – in der Elegie erfährt sie lediglich ihre deutlichste Manifestation. Wenn man dann noch überlegt, dass das Cis im Bass dieser Fis-Dur-Passage mit ebenjenem Cis korrespondiert, dem man schon ganz zu Beginn im Bass begegnet ist, dann stellt man endgültig fest, dass man hier einem sehr bedacht und anspruchsvoll konstruiertem Werk begegnet, das eine Menge zu bieten hat.
Hochklassige Beethoven-Einspielung
Angesichts einer solch differenziert zu diskutierenden Novität bleibt wenig Raum für Kommentare zu Steinbachers (bereits zweiter) Aufnahme von Beethovens Konzert, daher nur so viel: ihre Interpretation bewegt sich auf einem sehr hohen Niveau, durchdacht und geprägt von lyrischem Ausdruck, Sinn für die großen melodischen Bögen, dabei einem eher zurückhaltenden, fein timbrierten Ton. Das Orchester begleitet sehr solide, manchmal vielleicht eine Spur geradlinig; hier wäre stellenweise mehr Poesie, mehr Lyrik möglich. Eine insgesamt hochklassige Einspielung des Beethoven-Konzerts also und in der Summe eine hörens- und lohnenswerte Neuerscheinung.
Holger Sambale [09.05.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Konzert D-Dur op. 61 für Violine und Orchester | 00:44:15 |
Georges Lentz | ||
4 | Violinkonzert (...to beam in distant heavens...) | 00:35:56 |
Interpreten der Einspielung
- Arabella Steinbacher (Violine)
- Luxembourg Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Gustavo Gimeno (Dirigent)