Capriccio 60 107
2 CD • 79min • 1998, 1999
29.11.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Frau eines Kriegsblinden will den Diktator töten, dessen Politik ihren Mann das Augenlicht gekostet hat, doch sie erliegt der Ausstrahlung des Tyrannen und wird von dessen Frau erschossen; ein Preisboxer wird von seiner Frau und deren Liebhaber vermittels eines elektrischen Anschlusses dauerhaft mit seinem Trainingsapparat verbunden und hilflos in die Pedale tretend zurückgelassen; und ein König flieht vor der Revolte, die er zu verursachen hat, in die Arme seiner inzwischen zu einem Baum mutierten Gattin, wo er den Einklang mit der Natur erfährt und zur Ruhe kommt: Es ist schon ein recht eigentümliches Triptychon, das Ernst Krenek vom Sommer 1926 bis zum Herbst 1927, unmittelbar im Anschluß an seinen Sensationserfolg Jonny spielt auf, nach dem Vorbild des Trittico von Giacomo Puccini komponierte. Aus Der Diktator, einer halbstündigen tragischen Szene über Eros und Gewalt, aus der fünfzehnminütigen burlesken Operette Schwergewicht oder Die Ehre der Nation, und dem symbolistischen Märchen vom Geheimen Königreich, das wie eine konzentriert-kritische Auseinandersetzung mit den Sujets des einstigen Lehrers Franz Schreker erscheint – aus diesen drei Bühnenstück(ch)en also entsteht ein in seiner Widersprüchlichkeit überzeugendes Portrait des Komponisten, der nach dem bis dato gewaltigsten Paukenschlag seiner zweiten Sinfonie (1923) zu einer Tonsprache „zurückgekehrt” war, mit der sich das Publikum eher anlocken denn verprellen ließ. Dabei sei aber gesagt, daß dieser vor-serielle, musikalisch geradezu hyperaktive Krenek sein Vokabular nicht „den Leuten”, sondern dem jeweiligen Gegenstand angepaßt hat. So erklärt sich das zwischen Strauß und Strauss angesiedelte Idiom, zu dem sich der Schwergewichtler Adam Ochsenschwanz (ohne Lerchenau) abstrampelt, aus der absurden Komik der Situation, die selbst einem Karl Valentin zur Ehre gereichte. Wesentlich schriller geht es folglich im rebellischen Getöse zu, von dem das Geheime Königreich erschüttert wird, das nicht nur das längste, sondern auch das ausgewachsenste und vielschichtigste der drei Stücke ist. Von opernhaftem Kantabile, virtuos aufgesetzten Koloraturen und pseudo-volkstümlicher Melodik bis zu schärfsten harmonischen Konflikten reicht das Arsenal, das sich weit deutlicher an Franz Schrekers polystilistischen Werken orientiert als Krenek das nach seinem Bruch mit dem Lehrer zugegeben hätte.
Weniger zwingend erscheint Der Diktator, der nach einer geradezu romantischen Miniaturouvertüre hörbar unentschieden bleibt. Dieses Schwanken ließe sich prinzipiell zwar aus dem dramatischen Entwicklungsprozeß erklären, an dessen Ende tödlicher Haß in sinnliches Begehren umschlägt, doch diese Kehrseiten derselben Medaille finden keinen wirklich schlüssigen Widerhall in der Musik: Plötzlich knallt der Schuß (der hier übrigens mehr nach einer Luftpistole denn einer 44er klingt), die Frau des Blinden stürzt zu Boden, ihr versehrter Mann fragt schreiend, ob „sie es getan” habe, und eigentlich weiß man gar nicht recht, wie’s dazu kam. Dementsprechend sind hier auch die einzigen gravierenden Einschränkungen hinsichtlich der Besetzung angebracht: Den zynischen Diktator wird man dem Tenor Urban Malmberg ganz einfach nicht abnehmen, wohingegen er im Geheimen Königreich einen exquisiten, spitzfindigen und treffsicheren Narren abgibt, der – wie es der traditionsreichen Rolle entspricht – die eigentliche Hauptrolle spielt. Besonders hervorzuheben sind ferner der komödiantische Baßbariton Roland Bracht und sein wahrhaft elektrisierender Schwerathlet sowie der Bariton Michael Kraus, dem es von Anfang an gelingt, den durch den zwar generierten, nicht aber gewollten Aufstand völlig verunsicherten König so plastisch darzustellen, daß man als Hörer von der endlichen Erlösung im tröstenden „Gezweig” der Natur tatsächlich wie in einem Märchen ergriffen wird.
Rasmus van Rijn [29.11.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ernst Krenek | ||
1 | Der Diktator op. 49 (Tragische Oper in einem Akt = zwei Bildern) | |
2 | Schwergewicht oder Die Ehre der Nation op. 55 (Burleske Operette in einem Akt) | |
3 | Das geheime Königreich op. 50 (Märchenoper in einem Akt = zwei Bildern) |
Interpreten der Einspielung
- Urban Malmberg (Der Diktator - Bariton, Professor Himmelhuber - Bariton, Der Narr - Bariton)
- Celina Lindsley (Charlotte, die Frau des Diktators - Sopran, Evelyne, Adams Frau - Sopran)
- Robert Wörle (Der Offizier - Tenor, Gaston, ein Tanzmeister - Tenor)
- Gabriele Maria Ronge (Maria, die Frau des Offiziers - Sopran)
- Roland Bracht (Adam Ochsenschwanz, Meisterboxer - Baß)
- Bogna Bartosz (Anna Maria Himmelhuber, die Tochter des Professors - Mezzoso)
- Daniel Kirch (Ein Journalist - Tenor)
- Markus Sandmann (Ein Regierungsrat - Tenor)
- Michael Kraus (Der König - Bariton)
- Claudia Barainsky (Die Königin - Sopran)
- Pär Lindskog (Der Rebell - Tenor)
- Falko Maiwald (Erster Revolutionär - Tenor)
- Egbert Junghanns (Zweiter Revolutionär - Baß)
- RIAS-Kammerchor Berlin (Chor)
- Deutsches Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Marek Janowski (Dirigent)