J.S. Bach Suiten für Violoncello solo

Naxos 8.557280-81
2 CD • 2h 29min • 2003
01.07.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Seit jeher gehören die Solosuiten von Johann Sebastian Bach zum Anspruchsvollsten, was die Literatur für Violoncello bereitstellt. Den sechs zeitlich ausgreifenden Werken ist allein mit technischer Virtuosität nicht beizukommen; das Monologisieren ohne begleitenden Partner erfordert vom Interpreten eine interessante und vielschichtige Persönlichkeit, welche jeden der Sätze und jede der Suiten variabel artikuliert. Die Gepflogenheiten des Schallplattenmarktes verschärfen die Schwierigkeiten der Aufgabe noch. Denn nach einer unausgesprochenen Übereinkunft müssen die Suiten im Bündel vorgelegt werden. Nicht nur gilt es dann, den individuellen Charakter jeder Sonate herauszuarbeiten; darüber hinaus soll sich auch noch der Zyklus in seiner formalen Einheit ergeben.
Beiden Anforderungen wird die in Essen lebende Cellistin Maria Kliegel vollkommen gerecht. Generell ist ihr Spiel, wie man es von zahlreichen früheren Einspielungen kennt, natürlich und geschmackvoll, in allen Lagen nicht nur ausgeglichen, sondern auch äußerst klangvoll. Bei den Bach’schen Suiten jedoch gelingt ihr nun auch noch das Kunststück, jedem Stück eine besondere Stimmung abzugewinnen, und dadurch jede Suite in eine besondere Farbe zu tauchen. Man höre etwa den nüchternen Ernst der C-Dur-Suite, eine klare und ansprechende Attitüde, die von Kliegel etwa in der Gigue durch kleine Temperamentspritzen vor zu großer Gleichmäßigkeit bewahrt wird. Deutlich feierlicher wird die d-Moll-Suite angelegt; Kliegel durchlebt die komplexen harmonischen Verläufe des Präludiums ruhig, geht jedoch die Courante virtuos, geradezu feurig an und findet in der Sarabande zu ihrem langen Atem zurück. Überhaupt werden die Sarabanden in allen Suiten zu den geheimen formalen Zentren; in allen Fällen überzeugt die erstaunliche Sprachfähigkeit von Kliegels Spiel, überzeugt, welche Aussagekraft sie etwa in eine bloße Baßformel legen kann, ohne jedoch die Musik mit Bedeutung zu überfrachten. In besonderen Einzelsätzen arbeitet sie zudem eine ungeheure Bildmacht heraus: Im Präludium der 6. Suite D-Dur wird ein Beispiel geradezu minimalistischer Monotonie gegeben; in der zweiten Gavotte derselben Suite wird dagegen ein subtil volksmusikalischer Gestus evoziert.
Ein Kuriosum stellt schließlich die Sarabande der c-Moll-Suite dar, in welchem Kliegel in Zeitlupe gezupfte und gestrichene Linien abwechselt und in geradezu selbstvergessener Konzentration eine ungeahnte Modernität aus dem Stück heraushört. Als einziger Kritikpunkt ließe sich anführen, daß in wenigen Fällen der rhythmische Charakter einzelner Tänze nicht unverstellt herauskommt, wie etwa in der Allemande der 6. Sonate; doch auch an solchen Stellen gelingt Kliegel ein beredter Spielfluß, der es nicht nötig hat, die Rhetorik-Klischees mancher Alte-Musik-Spezialisten zu bemühen. So hat man nach dem knapp zweieinhalbstündigen Durchgang durch den gesamten Bach’schen Kosmos das Gefühl, nicht nur einen Interpreten, sondern auch einen Menschen ein wenig kennengelernt zu haben.
Dieter Weiss [01.07.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 für Violoncello solo | |
2 | Suite Nr. 2 d-Moll BWV 1008 für Violoncello solo | |
3 | Suite Nr. 6 D-Dur BWV 1012 für Violoncello solo | |
4 | Suite Nr. 3 C-Dur BWV 1009 für Violoncello solo | |
5 | Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 1010 für Violoncello solo | |
6 | Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011 für Violoncello solo |
Interpreten der Einspielung
- Maria Kliegel (Violoncello)