cpo 777 123-2
1 SACD • 66min • 2004
22.11.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der hannoversche Orgel- und Cembalobauer, Schnitger-Schüler und Organist Christian Vater (1679-1756) war zu Lebzeiten nicht nur als leistungsfähiger Orgelmacher, sondern auch als scharfzüngiger, mit einem ordentlichen Schalk im Nacken begabter Partner seiner Auftraggeber bekannt, der – wie eine deutsche Redensart so treffend sagt – nichts anbrennen ließ. Von seinem Werk blieb einiges erhalten, so ein hochinteressantes Cembalo im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, sowie die Orgeln von Gifhorn, St. Nicolai (weitgehend) oder Wiefelstede (zu Teilen); vieles mehr jedoch ging in den Geschmackswandeln der Jahrhunderte unter, so dass heute in erster Linie Archivalien von Urwüchsigkeit und Selbstbewusstsein dieses großen norddeutschen Orgelbauers zeugen. Die evangelische Stadtkirche in Melle bei Osnabrück beherbergte einst eine der großen Orgeln Vaters, was die Kirchengemeinde in den späten 1990ern veranlasste, das über zwei Jahrhunderte entstellte Instrument rekonstruieren zu lassen. So sehr solche Rekonstruktionen mit meiner Sicht auf den Organismus „Orgel“ korrelieren, der dem Kenner schon im Prospekt sein „Sinnen und Trachten“ offenbart, so vertraut ist mir, dass der Klang einer solchen Rekonstruktion Ergebnis unserer Tage, unserer Vorlieben und Eigenarten ist. So auch hier, trotz der klanglich und handwerklich beeindruckenden Leistung des Rekonstrukteurs Bernhard Edskes.
Das bei cpo erschienene Ergebnis der Gesamtaufnahmen der Werke von Nikolaus Bruhns und Georg Dietrich Leyding macht es mir nicht gerade leicht, über die Erinnerung einen Bezug zur 20 Jahre jüngeren, allerdings durch Edskes' Landsmann Dirk Andries Flentrop orgelbewegt restaurierten Orgel Vaters in Gifhorn (1743) herzustellen.
Friedhelm Flamme, kürzlich beim selben Verlag mit interessanten Aufnahmen neoromantischer französischer Orgelmusik hervorgetreten, nimmt sich mit der ihm eigenen pädagogischen Sensibilität der Rekonstruktion nach Vater und ihrer im Falle Leydings recht überzeugenden, in demjenigen des Husumer Organisten Nikolaus Bruhns immerhin noch außerordentlich reizvollen Klanges an, so dass eigentlich wenig Wünsche offen bleiben. Dennoch vermisst man in der Klangschönheit des Instrumentes jene aggressive Fantastik, die das Werk des jung verstorbenen Nicolaus Bruhns charakterisiert. Die etwas zurückhaltender disponierten Opera Leydings passen da besser zum Instrument. Flamme führt den Hörer – wie in den Aufnahmen mit Werken der französischen Nachromantik – empfindsam durch die Partitur, bezieht dabei auch die Folgen der tabulatorischen Kompositionsweise – die neuere deutsche Orgeltabulatur ist mehr als eine Schreibkonvention – in seine Spielweise mit ein, so dass das Ergebnis namentlich für den Hörer gut anhörbar wird, dem die Analyse weniger Herzensanliegen ist als mir. Flamme rundet aber weiter ein, denn die beiden tonartlich etwas kritischen – weil an eine Dominante H-Dur gebundenen- Bruhns-Praeludien in e-Moll erklingen gemäß einer von Harald Vogel vertretenen Praxis nach d-Moll transponiert. Die Dominante A-Dur liegt ja zumeist in einem Bereich, der durch historische Temperaturen „terzenreiner“ ausfällt. Im Meller Fall jedoch wurde – so höre ich das wenigstens – offenbar diejenige Temperatur gelegt, die man in Wiefelstede (Vater 1731) rekonstruierte. Sie weist zugegebenermaßen ein über die Gleichstufigkeit hinausgehend hartes H-Dur auf, das aber mit knapp 406 Cent demjenigen von Kirnberger III entspricht, also zeitgenössisch mehr als nur tolerabel angesehen wurde, ja nach neuesten Forschungen (A. Sparschuh/B. Lehman) sogar in einer Variante durch Bach selbst auf dem Titelblatt seines Wohltemperierten Clavieres (Teil I, 1722) notiert wurde.
Flamme verzichtete hier auf einen Teil der Wirksamkeit seiner Interpretation, die dennoch gerade von den oben angezogenen Liebhabern der Orgelmusik, denen das Hören vor der Analyse als Selbstzweck geht, goutiert werden dürfte.
Eingeschränkt wird die Freude an dieser Produktion durch das unnötigerweise etwas nachlässig gemachte Textheft, das das Todesdatum Bruhns’ in sein Husumer Antrittsjahr legt (1689; Bruhns starb am 29. März 1697). Andererseits werden die Registrierungen der gespielten Werke über nicht weniger als zwei Seiten aufgeführt.
Thomas Melidor [22.11.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Nicolaus Bruhns | ||
1 | Präludium e-Moll (groß) | |
2 | Präludium G-Dur | |
3 | Adagio in D | |
4 | Nun komm, der Heiden Heiland | |
5 | Präludium g-Moll | |
6 | Präludium e-Moll (klein) | |
Georg Dietrich Leyding | ||
7 | Präludium in C | |
8 | Wie schön leuchtet der Morgenstern | |
9 | Präludium in B | |
10 | Von Gott will ich nicht lassen | |
11 | Präludium in Es |
Interpreten der Einspielung
- Friedhelm Flamme (Orgel)