Marco Polo 8.225329-31
3 CD • 3h 15min • 2005
03.08.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die sensationellen Vorgänge, die sich rund um die Uraufführung des Bärenhäuters (München 1899) abspielten, lassen sich in erster Linie damit erklären, daß sich Siegfried, der Sohn des großen Richard, damit zum ersten Mal als Opernkomponist präsentierte. Das Interesse an diesem Werk war ungeheuer, keine andere Oper erreichte um die Jahrhundertwende ähnliche Aufführungszahlen. Doch bald versickerte der Erfolg, und mit den späteren Opernkompositionen konnte Siegfried Wagner ähnlichen Aufruhr nicht mehr hervorbringen, obwohl sich weit besseres darunter befindet als der etwas lanweilige Bärenhäuter. Beispielsweise Der Kobold, Siegfrieds dritte Oper (nach Herzog Wildfang, München 1901). Es ist ohne Zweifel eine positive Tat, dieses Werk als Tonaufnahme vorzustellen und damit aus dem Dunkel herauszuholen. Man muss nicht nur dem Label Marco Polo, sondern auch dem eifrigen Verfechter der Kunst Siegfried Wagners dafür Dank ausdrücken: Es ist dies der unermüdliche Peter P. Pachl, auf dessen Initiative die szenische Aufführung im Stadttheater Fürth (November 2005) zurückgeht und der auch die fundierten Beiträge für die Textbeilage verfaßt hat.
Über die Oper Der Kobold (erstmals gegeben in Hamburg, 1904) ein pauschales Urteil zu fällen, ist nicht ganz einfach. Vieles daran deutet in die negative Richtung: die übermäßige Länge (mehr als drei Stunden), die unklare, zum Teil sogar verworrene Handlung und nicht zuletzt die Musik, in der man auf Schritt und Tritt Vertrautem zu begegnen glaubt. Bereits in den ersten Klängen des Vorspiels tauchen wohlbekannte Lohengrin-Klänge auf, Richard Wagners Physiognomie schwindet während des ganzen langen Spiels in keinem Moment, obwohl sich auch Volksliedtöne, Operette, sogar regelrechte Schlagermelodien dazugesellen. Und dennoch ist daraus etwas absolut Eigenständiges geworden, dem man nicht ohne Faszination lauscht, da in dieser spätromantischen Oper die Instrumentationskunst auf bewundernswerter Höhe steht und auch der melodische Einfall in überreicher Fülle vorhanden ist. Von allen Werken Siegfried Wagners scheint Der Kobold die inspirierteste, in gewissen Teilen sogar geniale Musik zu enthalten. Allein das erwähnte Vorspiel zum ersten Akt würde trotz aller väterlichen Leihgaben ausreichen, Siegfried Wagner vom ewigen Vorwurf des Epigonentums zu befreien – es ist dies ein Musikstück von bezaubernder Natürlichkeit. Wenn der Komponist sein Opus drei als sein gelungenstes Werk bezeichnete, dann hat er sicher nicht falsch gelegen.
Der mysteriöse Inhalt des Stücks (wie stets bei Siegfried Wagner eine eigene Dichtung) lässt sich in seiner ganzen Länge und Verstiegenheit kaum wiedergeben, aber es geht dabei – andeutungsweise – um ungeborenes Leben, um Schuld durch Kindestötung, um raunende dämonische Einflüsterungen, mit denen alte Schuld eingeklagt wird, es geht aber auch um geläufige Opernthemen wie Liebe, Treulosigkeit und Eifersucht. Verena, die Hauptgestalt der Handlung, wird von Dämonen terrorisiert und nimmt – ähnlich wie Verdis Gilda – den Opfertod auf sich, um das Leben ihres ungetreuen Liebhabers zu retten.
Die Aufführung durch das PPP-Musikensemble (pianopianissimo – oder versteckt sich hier der Name Peter P. Pachl?) kann nicht mit berühmten Stimmen aufwarten, jedoch wird in diesem Bühnen-Mitschnitt ein gutes, homogenes Niveau erreicht. Mit der amerikanischen Sopranistin Rebecca Broberg steht eine intensive Gesangs-Darstellerin zur Verfügung, die den neurotischen Grundzug ihrer Partie glaubwürdig zur Geltung bringt und auch sehr wortdeutlich singt. Da bedauerlicherweise kein vollständiges Textbuch, sondern nur eine – allerdings übersichtliche – Inhaltsangabe beigegeben ist, spielt dieses Moment eine erhebliche Rolle. Es war daher problematisch, die kleine, aber wichtige Figur des Seelchens (eigentlich der Dämon) mit dem japanischen Altsänger Young Jae Park zu besetzen, dessen Artikulation so gut wie unverständlich bleibt. Hervorragende Eindrücke hinterläßt das von Frank Strobel geführte Nürnberger Sinfonieorchester, das den Hörer in die eigenartig-magische Klangwelt des Werks hineinführt.
Siegfried Wagner – ein tragischer Fall Musikgeschichte. Nach eigenem Zeugnis hatte er sein Leben lang darunter zu leiden, immer nur als „der Sohn“ angesehen zu werden, kaum jemals als eigene Individualität. Seine Oper Der Kobold überragt sicherlich an musikalischem Gehalt so manches, was in damaliger Zeit geschaffen wurde, aber die Schwierigkeit lag und liegt bis heute darin, dass sie eben nur die Schöpfung eines „Sohnes“ war. Die Bekanntschaft mit dem Werk kann zu neuen Ein- und Ansichten über diesen Komponisten führen.
Clemens Höslinger [03.08.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Siegfried Wagner | ||
1 | Der Kobold op. 3 (Oper in drei Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Rebecca Broberg (Verena, Gertruds Tochter - Sopran)
- Regina Mauel (Gertrud, Wirtin im Dorfe - Alt)
- Andreas Mitschke (Der alte Ekhart - Baß)
- Achim Hoffmann (Trutz, in der Komödie Satyros - Bariton)
- Johannes Föttinger (Fink, in der Komödie Heliodoros - Tenor)
- Philipp Meierhöfer (Kümmel, in der Komödie Faun - Baß)
- Volker Horn (Friedrich, in der Komödie Eros - Tenor)
- Nicholas Isherwood (Graf - Bariton)
- Martina Borst (Die Gräfin, in der Komödie Eukalia - Sopran)
- Ksenija Lukic (Jeannette, Kammerzofe - Sopran)
- Marco Bappert (Jean, Diener - Bariton)
- Joachim Höchbauer (Knorz - Bariton)
- Heike Kohler (Käthe, Frau des Trutz - Mezzosopran)
- Young Jae Park (Seelchen - Sopran)
- Franziska Ulrich (Galgenmännchen - Sopran)
- PPP Music Theatre Ensemble Munich (Chor)
- Nürnberger Symphoniker (Orchester)
- Frank Strobel (Dirigent)