J.S. Bach
Cantatas 40
Cantatas from Leipzig
BIS 1671
1 CD/SACD stereo/surround • 57min • 2007
27.11.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Im Jahre 1996 startete Robert von Bahr als Produzent und kreativer Firmenchef der schwedischen Qualitätsmarke BIS Records das wagemutige, inzwischen von Erfolgen begleitete Vorhaben einer kompletten Aufnahmeserie sämtlicher Kirchenkantaten von Johann Sebastian Bach. Nach dem gegenwärtigen Stand (2008) liegen bereits 41 Folgen vor. Das heißt: Von den rund zweihundert BWV-Nummern des Bach-Werkverzeichnisses haben bisher 147 Werktitel das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Nahezu alle dürfen sich auf ein positives Echo der internationalen Presse stützen. Auch konnte inzwischen zur redaktionellen Betreuung der Werkerläuterungen in den Beiheften Klaus Hofmann vom Göttinger Bach-Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter der (inzwischen abgeschlossenen) Neuen Bach-Gesamtausgabe gewonnen werden.
Angesichts der noch rund 56 zu ergänzenden Werke auf dem Wege zur Vollendung des respektablen Vorhabens wird mehr denn je mit jeder neuen Folge die kaum nachzuvollziehende Schaffenskraft des Leipziger Thomaskantors bewundernd bewußt, zumal mehrere Kantatenjahrgänge nur teilweise überliefert sind, von den großen oratorischen Beiträgen, Arien, Motetten und der Vielzahl von Orgel- und Instrumentalwerken ganz zu schweigen. Die BIS-Initiative trifft auf vergleichbare Schallplatten-Großvorhaben mit der inzwischen historischen Leistung von Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus Musicus Wien, auf das holländische Leonhardt-Consort, auf Sigiswald Kuijken mit La Petite Bande, Ton Koopman mit dem Barockorchester Amsterdam, vor allem aber auf die exemplarische Bach-Gesamtaufnahme der Internationalen Bachakademie Stuttgart auf 172 CDs mit Helmuth Rilling und der Gächinger Kantorei (neben zahlreichen anderen, nicht minder ehrgeizigen Vorhaben weiterer Ensembles).
Nun also ist seit zwölf Jahren mit der BIS-Serie buchstäblich eine fernöstliche Sonne über Bachs Schaffen aufgegangen: Längst hat sich Masaaki Suzuki als Orgelprofessor und Spezialist für Alte Musik an der Geijutsu-Nationaluniversität für bildende Künste und Musik in Tokyo mit dem von ihm 1990 gegründeten Bach Collegium Japan zur internationalen Führungsriege der Bach-Pflege hinzugesellt. Er ist als Absolvent des Amsterdamer Sweelinck-Konservatoriuma aus der „Niederländischen Schule“ hervorgegangen. Dies vorausgeschickt, muß die vorliegende 40. Folge seiner Kantaten-Einspielung als Teiljubiläum gewürdigt werden. Ihre Stärke, wie die ihrer Vorgänger, liegt in den überzeugenden Einzelleistungen aller Mitwirkenden, die dem hohen Anspruch des Vorhabens angemessen sind.
Nicht nur beherrschen die ausnahmslos japanischen Chormitglieder penibel die deutschen Kantatentexte mit den phonetisch nicht immer einfachen, vom Alltag abgehobenen Barockformulierungen, sondern zeichnen sich sie sowohl im polyphonen Geflecht wie in den akkordischen Sätzen durch Klarheit und ein erstaunlich gut miteinander verwobenes Timbre aller Stimmlagen aus. Diese Klangvorstellung ist für Masaaki Suzuki eine deutlich spürbare Maxime, die sich auch bei der Besetzung des Solistenensembles und jeder Instrumentalstimme offenbart. Nicht minder prägend und selbstverständlich sind für ihn die Erkenntnisse und Anforderungen der historischen Aufführungspraxis. Allenfalls die auch von der Musikwissenschaft nicht zu schließende Lücke der unwiderruflich verloren gegangenen Hörgewohnheiten von vor über 280 Jahren, die nicht zu rekonstruieren sind, kann Unterschiede in der künstlerischen Bewertung ergeben. Als anfällig erweisen sich immer wieder die von modernen Ohren nur subjektiv und rein ästhetisch zu beurteilenden Fragen des „richtigen“ Tempos, der Dynamik, der Taktbetonung, überzeugende Techniken (oder weniger überzeugende Manieren) der Akzentuierung und Phrasierung. Aber auch Besetzungsfragen, Größe des Orchesters, selbst die Stimmung – bezogen auf die richtige Schwingungszahl des Kammertons ‚a‘ – werfen Probleme beim Einsatz historischer Instrumente (Orgel, Cembalo, Bläser) auf.
Im Fall der vier Kantaten der 40. Folge fällt die Entscheidung für überraschend flotte Zeitmaße in der Kantate 137 Lobe den Herren auf. Zwar sollen sie dem freudigen Barockaffekt der gottesdienstlichen Funktion des Werkes dienen, geraten aber bei der Wiedergabe der für Bach charakteristischen Figurationen und Notenketten in die Nähe automatenhafter Gleichförmigkeit. Als ein Gewinn für die Besetzung erweist sich dagegen zum wiederholten Male der junge Brite Robin Blaze mit seinem faszinierend reinen und brillant dem Text dienenden Altus. Auch die Donnerworte der Kantate 168 lassen an der aufrüttelnden Energie des bewährten Suzuki-Stammgastes Peter Kooij als Baßsolist, hervorgegangen aus der Amsterdamer Sängerschule Max van Egmonds, nichts zu wünschen übrig. Das gilt auch für die sympathische Klarheit und präzise Diktion der Sopranistin Yukari Nomoshita, ebenso für die ausdrucksvolle, musikalisch-rhetorisch überzeugende Wortvermittlung des Tenors Makoto Sakurada.
Beifall verdient schließlich die souveräne Besetzung und Ausbalancierung aller Stimmen des Instrumentalensembles und der Continuopartien und ihre virtuos-mustergültig ausgeführte Verzierungspraxis. Besondere Erwähnung verdient die sensible Klangregie der Surround-Sound-Aufnahmetechnik. Wer sich angesichts der Fülle vorliegender BIS-Einspielungen über den Inhalt und die Besetzungen der einzelnen Kantatenfolgen informieren möchte, der muß allerdings wegen der unterschiedlichen Werkkopplungen bei unregelmäßiger Verteilung der Bestell- und Kantatennummern der gegenwärtig Volumina 1 bis 41 das Internet bemühen: www.bach.co.jp/discography.htm.
Dr. Gerhard Pätzig [27.11.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren BWV 137 (Kantate) | 00:12:36 |
6 | Tue Rechnung! Donnerwort BWV 168 (Kantate) | 00:12:51 |
12 | Gott der Herr ist Sonn und Schild BWV 79 (Kantate) | 00:14:10 |
18 | Ihr, die ihr euch von Christo nennet BWV 164 (Kantate) | 00:16:25 |
Interpreten der Einspielung
- Yukari Nonoshita (Sopran)
- Robin Blaze (Countertenor)
- Makoto Sakurada (Tenor)
- Peter Kooji (Bass)
- Bach Collegium Japan (Orchester)
- Masaaki Suzuki (Dirigent)