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Besprechung CD

cpo 777 468-2

1 CD • 65min • 2009

22.02.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Orlandus Lassus, Roland de Lassus, Orlando di Lasso: Schon die Vielfalt der Formen seines Namens kündet von der europäischen Bedeutung dieses großen Komponisten, dessen Ruhm so groß war, dass er von seinen Zeitgenossen mit dem Ehrentitel „princeps musicorum – Fürst der Musiker“ geehrt wurde.

In Mons, der Hauptstadt des belgischen Hennegau, wurde Lasso um 1532 geboren. Er wurde Chorknabe der Kirche St. Nicolas in seiner Heimatstadt und fiel schnell durch seine außerordentlich schöne Stimme auf. Das rief Anwerber auf den Plan, die damals ganz Europa auf der Suche nach schönen Stimmen durchkämmten und wenig Skrupel kannten, waren sie erstmal fündig geworden. Zweimal wurde der kleine Orlando entführt, zweimal konnten die Eltern ihr Kind zurückholen. Die dritte Entführung 1544 war erfolgreich, und Ferrante Gonzaga, der Vizekönig von Sizilien, konnte sich über eine neue Engelsstimme in seinem Chor freuen. Von der sizilianischen Hauptstadt Palermo aus führten viele Reisen auf das italienische Festland, wo Gonzaga sein Juwel gern präsentierte.

Der Stimmbruch machte dieser Karriere ein Ende – Orlando konnte indessen von der vielseitigen und soliden Ausbildung profitieren, die er in sizilianischen Diensten erhalten hatte. Neben profunden musikalischen Kenntnissen hatte er sich auch in Literatur bilden können und beherrschte vier Sprachen fließend: Französisch, Deutsch, Italienisch und Latein.

Über die Stationen Rom, Antwerpen und London gelangte Lasso schließlich an den bayerischen Hof nach München, wo Herzog Albrecht V. ein kunstsinniges Regiment führte. Ab 1557 diente er den Wittelsbachern als Tenorist, 1563 wurde er Hofkapellmeister und wirkte in dieser Stellung bis zu seinem Tod 1594. Von allen Seiten her umworben – 1560 setzte der französische König Karl IX. ihm gar eine Ehrenpension aus –, hielt er dennoch München die Treue. Ihn zog nichts in die Fremde, mit seinem herzoglichen Dienstherrn verknüpfen ihn nahezu freundschaftliche Bande, überdies führte er seit 1558 mit der Tochter eines Landshuter Hofkanzlisten eine überaus glückliche Ehe.

Die Sibyllen waren in Ekstase weissagende Prophetinnen der heidnischen Antike; ihre in griechischen Hexametern aufgezeichneten Orakelsprüche waren in so genannten Sibyllinischen Büchern überliefert, die während der gesamten Geschichte des Römischen Reichs in Krisensituationen zu Rate gezogen wurden. In die christliche Gedankenwelt fanden die Sibyllen als Prophetinnen Eingang, die schon in heidnischer Zeit das Kommen Christi vorhersagten – für die Verbreitung dieser Sicht war besonders der Kirchenvater Augustinus von Bedeutung. In Renaissance und Humanismus bildeten die Sibyllen eine willkommene Verbindung zwischen den neu entdeckten geistigen Wurzeln der Antike und einem aus dieser Sicht neu interpretierten christlichen Verständnis. Die Grundlage dieser christlichen sibyllinischen Tradition bildete das „Sibyllinische Orakel“, eine im 6. Jahrhundert n. Chr. zusammengestellte Sammlung, die auf jüdische, christliche und heidnische Quellen aus der Zeit von 150 v. Chr. bis bis 300 n. Chr. zurückgeht und mit den römischen „Sibyllinischen Büchern“ nicht identisch ist.

Orlando di Lasso schrieb seine Prophetiae Sibyllarum als junger, jedoch bereits berühmter Komponist etwa in der Mitte der 1550er Jahre. Das Werk fand Eingang in eine prachtvolle Handschrift, die für den privaten Gebrauch seines Fürsten, des kunstsinnigen Herzogs Albrecht V. von Bayern, bestimmt war; zu Lebzeiten Albrechts konnte es also nicht im Druck erscheinen. Tatsächlich hat erst Lassos Sohn Rudolph 1600, sechs Jahre nach dem Tod des Vaters, die Prophetiae Sibyllarum im Druck erscheinen lassen.

Lasso vertont 12 am „Sibyllinischen Orakel“ ausgerichtete Dichtungen in vierstimmigem homophonem Satz, wobei er ausgiebigen Gebrauch von chromatischen Harmonieverbindungen machte, die selbst auf unsere heutigen an Dissonanz bis hin zur Kakophonie gewöhnten Ohren immer wieder einen frappierenden Eindruck machen.

Dennoch nützt sich die Würze der Chromatik relativ schnell ab, so dass Manfred Cordes im Booklet zu Recht ausdrücklich davon abrät, alle zwölf Prophetiae Sibyllarum in Folge anzuhören. Aus diesem Grund interpoliert er den Zyklus nach jeweils zwei Orakelsprüchen mit einer Weihnachtsmotette aus der Feder Orlando di Lassos, die mit instrumentaler Begleitung von Blas- und Streichinstrumenten der mystische Weihe der Sibyllensprüche einen festlichen Kontrast entgegensetzen.

Manfred Cordes und sein Ensemble Weser-Renaissance Bremen gestalten sowohl die Festlichkeit der Weihnachtsmotetten wie auch die introvertiert mystische Atmosphäre der Prophetiae Sibyllarum mustergültig – der Kontrast der Stimmungen wird so zu einem Moment der Abwechslung, das während der 65 Minuten Spieldauer dieser CD zu keinem Zeitpunkt das Gefühl der Eintönigkeit aufkommen lässt. Schön wäre es gewesen, für die beiden unterschiedlichen Genera auch unterschiedliche Aufnahmeräume zu finden: der Hall der Stiftskirche in Bassum kommt den Weihnachtsmotetten bestens zupass; für die Sibyllinischen Weissagungen wäre ein kleinerer Raum mit intimerer Akustik passender gewesen.

Detmar Huchting [22.02.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Orlando di Lasso
1Omnes de Saba venient (à 8) 00:02:24
2Prophetiae Sibyllarum
5Ierusalem, platabis vineam (à 5) 00:04:08
8Sidus ex claro veniens Olympo (a 5) 00:03:51
11Cum natus esset Iesus (à 6) 00:09:45
14Descendit sicut pluvia (à 5) 00:04:38
17Mirabile Mysterium (à 5) 00:03:32
18Verbum caro factum est (à 6) 00:02:54
21Iubilemus singuli (à 6) 00:03:00
22Resonet in laudibus (à 5) 00:04:06

Interpreten der Einspielung

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