Händel & Friends
Oomoxx media 4260069342503
1 CD • 72min • 2009
19.02.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vor ziemlich genau einem Jahr besprach ich an gleicher Stelle die CD "Flauto senza basso" des Bielefelder Blockflötisten Frank Oberschelp, ein anspruchsvolles Unterfangen mit rein solistischer Musik. Binnen Jahresfrist liegt nun eine weitere CD des Künstlers vor, diesmal „con basso" und einem programmatischen Konzept. Mit der Cembalistin Sonja Kemnitzer hat er sich eine fabelhafte und engagierte Musikerin zur Seite gestellt.
"Händel & Friends" ermöglicht einen Blick auf die stilistische Vielfalt Londons im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts und koppelt Händels Musik mit Kompositionen zweier Kollegen: Charles Dieupart und Francesco Geminiani. Es versteht sich von selbst, dass diese Auswahl nur einen Bruchteil der ungeheuren Fülle des damaligen, geradezu überbordenden Musiklebens der Themse-Metropole beleuchten kann und will. Oberschelps Konzept darf aber durchaus als repräsentativ gelten, befand sich London doch fest in der Hand ausländischer Tonkünstler: Wie ein Magnet zog die Großstadt Instrumentalvirtuosen, Sänger und Komponisten aus Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und vor allem auch aus Italien an. In der englischen Hauptstadt tummelten sich ein musikbegeistertes Publikum, zahllose enthusiastische Amateurmusiker und ein florierendes Verlagswesen. Wahrlich gute Argumente für einen Musiker, sich hier niederzulassen.
Kulturell befand man sich auf der Insel also keineswegs in einer „splendid isolation" – der Einfluss Frankreichs insbesondere war (wohl nicht zuletzt wegen der geographischen Nähe) stark, was sich in spezifisch englischen Verzierungstechniken niedergeschlagen hat. Keineswegs aber waren die originär englischen Komponisten bloße Nachahmer dessen, was auf dem Kontinent en vogue war. Traditionell bürsteten die Insulaner ihre Musik mit einem gewissen Maß an stolzer Eigenart und Bizarrerie gegen den Strich – sei es in der Form, der Harmonik oder in den „Graces" und „Embellishments". Mit seinem Programm zollt Frank Oberschelp allerdings eher dem damaligen Mainstream Tribut: Händel und seinen Kollegen - und an diesen führte in den 1720er-Jahren auch kein Weg vorbei. Aus dem Stand heraus hatte sich Händel 1711 mit seiner Oper Rinaldo in die erste Riege der europäischen Komponisten katapultiert und startete damit eine beispiellose Musikerkarriere fern der Heimat.
Spätestens seit den Sechziger-Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts war die Blockflöte zu einem der beliebtesten Instrumente der englischen Gentlemen avanciert (man denke an die berühmten Tagebücher von Samuel Pepys!). Zur Jahrhundertwende konnte sie ihre Popularität sogar noch weiter steigern. Es ist daher kaum verwunderlich, dass schon bald nach der Rinaldo-Premiere der ebenso geschäftstüchtige wie windige Verleger Walsh ein Arrangement für Blockflöte solo (sic!) auf den Markt brachte, um den Musikhunger der Dilettanten zu stillen. Auch später erschienen zahlreiche weitere, teils dubiose und höchstwahrscheinlich nicht von Händel selbst angefertigte Blockflötenbearbeitungen seiner Musik.
Wenn Frank Oberschelp hier also eine „Rinaldo-Suite" eingespielt hat, so spiegelt sie in der Tat die vor nichts Halt machende und breite Schichten der Bevölkerung umfassende Musikbegeisterung der Londoner wider. Frank Oberschelp und Sonja Kemnitzer haben das Werk behutsam für die Duobesetzung eingerichtet. Auch wenn nun Puristen und Urtextfanatiker vielleicht die Nase rümpfen: gänzlich unerwartet, aber mit glanzvollem Effekt haben die beiden Musiker die Blockflöte auch in Händels Cembalo-Suite d-Moll eingebaut. Daneben erklingen zwei der bekannten, originalen Händelschen Blockflötensonaten sowie Francesco Geminianis zauberhaft verzierte Fassung des schottischen Liedes "Ann thou were my ain thing" aus den 1746 erschienenen "Rules for Playing in a true Taste".
So apart und überzeugend Auswahl, Zusammenstellung und Einrichtung der Stücke auch sein mögen, hier und da kann ich in Detailfragen meine Vorbehalte bezüglich Oberschelps Spiel nicht ganz verhehlen: In seiner nur wenig individuellen Deutung der Sonaten Händels mangelt es mir vor allem an charakteristischer „Italianità", affektbetonten, ausladenden Verzierungen. Oberschelp hält sich hier eher vornehm zurück und nutzt auch die langsamen Sätze kaum, um mit klanglicher und dynamischer Vielfalt zu „zaubern". Überhaupt wirken seine Verzierungen auf mich abgezirkelt, geplant, zu wenig flexibel im Timing. Weshalb ignoriert er geradezu die Besonderheiten englischer Aufführungspraxis? Warum keine Sweetnings, keine Flattements bei Dieupart? Einen Eindruck davon, wie – im wahrsten Sinne des Wortes – eigenartig diese typisch englischen Verzierungen waren, mag die unlängst erschienene, spektakuläre Aufnahme der Händel-Blockflötensonaten mit dem Ensemble Il vero modo (Thorofon CTH 2540) demonstrieren. Auch, ob es eine gute Wahl war, die Rinaldo-Ouvertüre auf einer Sopranino-Blockflöte zu spielen, möchte ich in Zweifel ziehen. Die majestätische Würde und Kraft des Originals wirkt hier wie nach Lilliput versetzt (immerhin auch eine Erfindung der Britischen Inseln). Eingangs erwähnte ich bereits das hohe Niveau Sonja Kemnitzers. Absichtlich habe ich die Bezeichnung „Begleiterin" vermieden, setzt doch ihr technisch wie musikalisch höchst ausgereiftes Spiel ganz eigene Akzente und bereichert die Produktion in jeglicher Hinsicht. Oberschelp und Kemnitzer ergänzen einander auf das Schönste. Eine wahrhaft glückliche musikalische Verbindung! Glanzpunkte des Programms waren für mich Kemnitzers ebenso feinsinnige wie temperamentvolle Deutung von Händels d-Moll-Suite und das genannte Schluss-Stück Geminianis, in dem Frank Oberschelp endlich gelingt, was manch vorangegangener Satz vermissen ließ: hier stimmen Timing und Verzierungen, und mit gleichsam folkloristischer Attitüde würzt er dieses so delikate Juwel mit einen Hauch von schottischem Flair.
Ich möchte abschließend betonen, dass sich die genannten Einwände angesichts des überaus stimmigen, positiven Gesamteindrucks der Aufnahme relativieren. Mir imponiert die Haltung, die sich in dieser Produktion widerspiegelt: Zwar ist das Booklet nur in Deutsch gehalten, informiert aber knapp und kompetent; das Design der CD-Hülle ist schlicht, aber ansprechend, die Künstlerbiographien wirken fast ein wenig wie ein Understatement. Man hat es einfach nicht nötig, Dinge zu übernatürlicher Größe aufzublasen (nach dem Motto „sensationell, spektakulär und von angehender Weltklasse"), sondern man macht einfach Musik - und zwar vom Feinsten! Eine CD, die ich mir gerne auch ein zweites und drittes Mal anhören werde, und die ich getrost jedem Barockmusikfreund empfehlen kann. Ich möchte diesen beiden sympathischen Künstlern wünschen, diese Demut vor der Musik und der Kunst niemals zu verlieren. Sie ist ein seltenes Gut geworden in unserer Zeit!
Heinz Braun † [19.02.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Friedrich Händel | ||
1 | Sonate C-Dur op. 1 Nr. 7 HWV 365 für Altblockflöte und B.c. | |
6 | Rinaldo HWV 7 | |
Charles François Dieupart | ||
12 | Suite Nr. 6 f-Moll für Blockflöte und Cembalo | |
Georg Friedrich Händel | ||
19 | Suite No. 3 d minor HWV 428 (from: Suite HWV 0426) | |
25 | Sonate a-Moll HWV 362 für Blockflöte und Cembalo | |
Francesco Geminiani | ||
29 | Ann Thou were my ain thing |
Interpreten der Einspielung
- Frank Oberschelp (Blockflöte)
- Sonja Kemnitzer (Cembalo)