cpo 777 613-2
1 CD • 66min • 2009
24.11.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Repertoirepolitisch exzellent zusammengestellt, bildet dieses Programm mit drei kürzeren Stücken Charpentiers Wirken für die Bühne in seiner fast vollständigen Bandbreite ab: Actéon eine Kurzoper im Genre der Pastorale, Orphée descendant aux Enfers eine Kantate, La Pierre Philosophale eine Schauspielmusik. So unterschiedlich die formalen Fakturen auch sind (Actéon ist das umfangreichste Werk, die Bühnenmusik zu Pierre Philosophale nur ein paar Minuten lang), wird doch deutlich, wie meisterlich Charpentier die damals geforderte Kunst der Varietät verstand. Er schafft in jedem der drei Fälle kleinteilige und dadurch sehr flüssige Nummernfolgen mit kurzen, liedhaften Arien und eingestreuten Chören, wobei sich dicht komponierte Satztechniken und dünne, nur durch den Continuo begleitete Gesänge abwechseln. Die Melodik ist zwar nicht übermäßig originell, sie ist aber auch nicht, wie später etwa oft bei Händel, Selbstzweck. Vielmehr ist sie eingebunden in die Gesamtfaktur, in die sehr einfallsreichen und kaum einmal vorhersehbaren harmonischen Verläufe, die von einer individuellen, kaum formelhaften Bassstimme getragen werden.
So generisch die Stoffe heute auch wirken: die Jagdszene mit dem Jäger Actéon, der unglücklicherweise die Göttin Diana erblickt und zur Strafe in einen Hirschen verwandelt wird, der bekannte Orpheus-Stoff, sowie eine Burleske um das seinerzeit grassierende Alchemie-Fieber - die dramaturgische Umsetzung durch Charpentier wirkt in ihrer Ausgewogenheit von Wort, Handlung und Musik unter Verzicht auf allzu saftiges Rampentheater geradezu modern.
Wenige Werke Charpentiers wurden zu Lebzeiten gedruckt, die meisten sind nur innerhalb einer 28-bändigen Manuskriptsammlung erhalten. Die überlieferte Gestalt des Actéon etwa ist dürr: Es gibt kaum Bezifferungen, Instrumentationsangaben, dynamische oder artikulatorische Zeichen. So ist die Phantasie der Interpreten gefragt, und das Ensemble des Boston Early Music Festivals enttäuscht die Erwartungen nicht. Die Bläser und ein sparsames Schlagzeug werden abwechslungsreich eingesetzt, die Sänger haben sämtlich reine und schlanke Stimmen, wie man es heute erwartet, und besonders virtuos ist der gezupfte Continuo der beiden Ensembleleiter Paul O'Dette und Stephen Stubbs gestaltet. Die Interpretationen übertreiben nicht mit dem Improvisieren und der Spielfreude, sondern stellen diese Werke in unmittelbarer Frische vor.
Prof. Michael B. Weiß [24.11.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Marc-Antoine Charpentier | ||
1 | Actéon H 481 | 00:40:53 |
16 | Orphée descendant aux Enfers H 471 | 00:17:33 |
21 | La Pierre Philosophale H 501 | 00:07:27 |
Interpreten der Einspielung
- Aaron Sheehan (Actéon - Tenor, Ixion - Tenor)
- Teresa Wakim (Diane - Sopran, La Petite Gnomide - Sopran)
- Mireille Lebel (Hyalé - Mezzosopran, Junon - Mezzosopran)
- Amanda Forsythe (Aréthuse - Sopran)
- Lydia Brotherton (Daphné - Sopran, Le Feu - Sopran)
- Jason McStoots (Orphée - Tenor)
- Douglas Williams (Tantale - Bariton)
- Olivier Laquerre (L' Eau - Bariton)
- Zachary Wilder (Un Silphe - Tenor)
- Boston Early Music Festival Chorus (Chor)
- Boston Early Music Festival Orchestra (Orchester)
- Paul O'Dette (Dirigent)
- Stephen Stubbs (Dirigent)