Georg Philipp Telemann
Ino
Opera Arias for Soprano
cpo 555 658-2
1 CD • 80min • 2023
30.12.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Amanda Forsythe präsentiert mit dem Boston Early Music Festival Orchestra unter der gemeinsamen Leitung von Stephen Stubbs (Konzertmeister) und Paul O’Dette (Continuo-Theorbe) auf einer mit über 80 Minuten prallgefüllten CD Werke von Georg Philipp Telemann. Neben der Kantate Ino – ein äußerst kraftvolles Alterswerk des 84-Jährigen, das in den Accompagnato-Rezitativen Christoph Wilibald Gluck langweilig wirken lässt – stehen makellos ausgeführte Arien aus der Zeit von Telemanns Wirken als Direktor der Hamburgischen Oper am Gänsemarkt aus Damon, Flavius Bertaridus, Emma und Eginhard sowie Germanicus auf dem Programm.
Von der Mörderin zur Göttin
Das Sujet von Ino (1765 entstanden) entstammt dem griechischen Sagenkreis um Dionysos, dem Gott des Rausches und des Wahnsinns. Inos Schwester Semele zeugte mit Zeus den Dionysos. Hera überredete die schwangere Semele, Zeus zu bitten, sich in seiner eigentlichen Gestalt zu zeigen. Der massive Blitz erschlug Semele, woraufhin Zeus sich eine tiefe Wunde im Oberschenkel beibrachte und Dionysos selbst austrug. Nach dessen Geburt wurde Tante Ino, Königin von Theben zur Amme bestellt, was Hera missfiel, die daraufhin Ino und ihren Gatten Athamas mit Wahnsinn schlug, was dazu führte, dass Athamas ihren Erstgeborenen mit einem Hirsch verwechselten und diesen in einem Kessel kochten. Um den Zweitgeborenen Medicertes, von dem einige Quellen behaupten, dass er ebenfalls schon im Kessel gelandet war, vor dem Wüten des Athamas zur retten, stürzten sich Mutter und Sohn von einem Felsen ins Meer und wurden von Poseidon und den Tritonen gerettet und wurden von Zeus zu den Meeresgottheiten Leucothea – die weiße Göttin –, und Palaemon erhoben.
Die Kantate mit einem Umfang von d1-a2 erfordert einen dramatischen Koloratur- oder beweglichen lyrischen Mezzosopran mit exzellenter Trillertechnik bis hin zu aufsteigende Kettentrillern. Da Accompagnato-Rezitative und Ariosi eng verwoben sind und die Affekte sehr schnell wechseln können, ist eine wache Leitung des Ensembles unbedingt erforderlich.
35 Opern, zumeist verschollen.
Von den 35 Opern, die Telemann in den Jahren von 1701 bis in die 1730er Jahre zunächst als Jura-Student für Leipzig, ab 1720 für Hamburg schrieb, haben sich nur 8 erhalten und selbst bei diesen fehlen oft die Rezitative. Von der Qualität nicht schlechter als diejenigen Händels findet man sie – mit Ausnahme vielleicht vom witzigen Intermezzo Pimpinone – nur selten auf den Spielplänen. Desto verdienstvoller, dass hier eine Lanze für ihre expressiven Schönheiten gebrochen wird.
Sopran mit brillanter Technik
Amanda Forsythe interpretiert ihre Werkauswahl vorbildlich. Endlich einmal ein lyrischer Sopran, der auf die modische Technik der „unbedingten Vibrato-Vermeidung um jeden Preis“ verzichtet, deshalb in der entspannten Höhe wunderschöne Piani bilden kann, über saubere Triller in unterschiedlicher Geschwindigkeit verfügt, deutliche Koloraturen in makellosem Legato gestaltet und den Phrasen durch feine Mikrodynamitk Gestalt gibt. So stellt man sich Barockgesang vor! Mag ihr für die wuchtige Ino auch etwas brustige Substanz in der Tiefe fehlen, erteilt sie jedoch vielen ihrer gern in diesem Repertoire eingesetzten Kolleginnen wahrhafte Gesangslektionen.
Die Doppel-Direktion durch Stephen Stubbs und Paul O’Dette erweist sich bei den komplizierten Tempo- und Affekt-Wechseln als segensreich. Aufnahmetechnisch gibt es nichts zu bemängeln. Wie immer empfehle ich die noch detailreichere, hochaufgelöste Version per Streaming. Besondere Erwähnung verdient der fundierte Booklet Text von Stephen Zahn, der über Telemanns Instrumentalmusik promovierte.
Fazit: Perfekte Telemann-Einspielung, die jeder, der sich sängerisch mit diesem Repertoire beschäftigt. gehört haben muss. Absolut empfohlen!
Thomas Baack [30.12.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Ouvertüren-Suite D-Dur TWV 55:D23 | 00:03:20 |
2 | Ino TWV 20:41 (dramatische Kantate) | 00:34:30 |
12 | Rimembranza crudel (Aria Agrippina - aus: Germanicus) | 00:06:04 |
13 | Das Auge starrt (Recitativo accompagnato, Emma - aus: Emma und Eginhard TWV 21:25) | 00:01:34 |
14 | Erscheine bald, du Irrstern meiner Sinnen (Aria, Emma - aus: Emma und Eginhard TWV 21:25) | 00:06:23 |
15 | Ich habe mit mir selbst (Recitativo, Emma - aus: Emma und Eginhard TWV 21:25) | 00:00:43 |
16 | Je mehr, dass ich mich widersetze (Aria, Emma - aus: Emma und Eginhard TWV 21:25) | 00:05:20 |
17 | Armselige, wie weit (Recitativo accompagnato, Rodelinda - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:00:49 |
18 | Gemahl und Songes Angedenken (Aria, Rodelinda - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:04:29 |
19 | Ihr Götter (Recitativo, Flavia - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:00:48 |
20 | Beliebte Zephir (Recitativo accompagnato, Flavia - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:00:49 |
21 | Mischt, ihr muntern Nachtigallen (Aria, Flavia - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:05:18 |
22 | Unschuld'gen Blutes (Recitativo accompagnato, Flavia - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:00:52 |
23 | Ach komm, und schwebe (Aria, Flavia - aus: Flavius Bertardius TWV 21:27) | 00:04:45 |
24 | Fanfare D-Dur TWV 50:44 | 00:01:26 |
25 | Lache nur, du Tigerherze! (Aria, Elpina - aus: Der neumodische Liebhaber Damon TWV 21:8) | 00:02:52 |
Interpreten der Einspielung
- Amanda Forsythe (Sopran)
- Boston Early Music Festival Orchestra (Orchester)
- Paul O'Dette (Dirigent)
- Stephen Stubbs (Dirigent)
- Robert Mealy (Dirigent)