Flötenmusik von Komponistinnen
Thorofon CTH 2577
1 CD • 68min • 2010
01.09.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Flötenmusik von Komponistinnen…? Die Devise dieser CD hat mich gleich etwas skeptisch gestimmt. Das Geschlecht des Schöpfers (bzw. in unserem Falle der Schöpferin) erscheint mir als wenig substantielles Auswahlkriterium für ein CD-Programm. Um was geht es eigentlich? Um gute Musik, um Quote, Fördergelder, Emanzipation? Mit gleichem Recht hätte man etwa Musik bärtiger Komponisten oder von Linkshändern auswählen können. Dass ein wirklich fassbarer, geschlechtsspezifischer Unterschied zwischen der Musik komponierender Frauen und Männer besteht, wage ich zu bezweifeln. Es gibt großartige Musik von Komponistinnen, so wie es miserable ihrer männlichen Kollegen gibt und vice versa. „Gender“ (so trendy dies heute auch sein mag) ist weder ein Garant künstlerischer Qualität noch spezifischer Eigenart. Gerade diese Einschränkung nach Geschlecht und Besetzung (Flöte plus Tasteninstrument) macht dieses CD-Programm für den Hörer so problematisch: Die Schwankungsbreite der künstlerischen Güte der eingespielten Werke variiert allzu deutlich und wirft einen (unnötigen) Schatten auf die durchaus vorhandenen Meriten der Interpreten. Doch betrachten wir zunächst einmal die positiven Seiten: Elisabeth Weinzierl und ihrer langjährigen Kammermusikpartnerin Eva Schieferstein gelingt es (bis auf wenige Ausnahmen) einen überzeugenden Bogen über vier Jahrhunderte Musikgeschichte zu spannen. Beide Interpretinnen lassen sich versiert auf die höchst unterschiedlichen stilistischen Anforderungen der Kompositionen ein: von Anna Amalia von Preußens noch ganz dem galanten Stil verhafteter Sonate über romantisch-virtuose Salonmusik, Impressionistisches und Neoklassizistisches bis zur Musik unserer Zeit (die jüngsten Werke der CD entstanden 2004). Elisabeth Weinzierls Technik ist tadellos, ihre Tongebung rund und klangvoll, ihr Spiel grundmusikalisch, uneitel, stets im Dienst des Werkes. Eva Schieferstein ist eine adäquate Partnerin auf gleichem Niveau. Ein kleiner Wermutstropfen ist die Continuorealisation der beiden Sonaten aus dem 18. Jahrhundert. Hier wechselt die Pianistin zum Cembalo. Gut gemeint zwar, aber zum einen klingt das eingesetzte Instrument überaus düünn und kann mit dem vollen Klang der Querflöte nicht ansatzweise mithalten, zum anderen spürt man deutlich, dass Eva Schieferstein keine an historisch informiertem Spiel geschulte Interpretin ist – der Continuosatz wirkt steif, wenig flexibel im Timing, einfach nach lediglich solide gespieltem, ausgesetztem Generalbass. Damit sollte man sich heute nun wirklich nicht mehr auf den Präsentierteller einer CD begeben. Auch Philipp von Morgen am Continuo-Cello greift nur sehr vorsichtig verhalten ins Geschehen ein. Dies alles ist umso bedauerlicher, als die beiden Sonaten von Anna Amalia und Anna Bon di Venezia hervorragende Kompositionen sind, die den Meisterwerken ihrer männlichen Kollegen in nichts nachstehen. Wie viel mehr würden diese Juwelen geglänzt haben, hätten sich die Interpreten etwas intensiver auf die Eigenheiten der Melodik (z.B. das Timing der Vorschläge) oder der Harmonik (z.B. das Herausspielen von Trugschlüssen) eingelassen. Die eingespielten Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Blahetka, Chaminade, Bonis) sind eher unspektakulär, meistenteils verzichtbare Musik. Lediglich in Lili Boulangers Nocturne ahnt man das herausragende Potential der frühverstorbenen Komponistin. Elisabeth Weinzierl weiß hier mit leidenschaftlicher Flötenkantilene zu üüberzeugen. Ebenso hat Germaine Tailleferres neoklassizistische Forlane ihren Reiz. Die Auswahl der Werke des 20. und 21. Jahrhunderts scheint mir weniger künstlerischen Qualitätskriterien als außermusikalischen Gegebenheiten geschuldet zu sein (nicht ganz zufällig entstammen alle einem von der Interpretin herausgegebenen Sammelband des Schott-Verlages). Innerhalb dieser sechs Werke der Moderne finden sich für mich der absolute Tiefpunkt wie auch das Glanzlicht der CD: Selten habe ich etwas Uninspirierteres, Banaleres gehört als Gloria Coates’ Phantom (eine bis zur Peinlichkeit billige Aneinanderreihung avantgardistischer Flöteneffekte von äußerst dünner Substanz). Auf der anderen Seite Annette Schlünz’ tastend, tränend, eine Komposition, die zwar mit ähnlichen Effekten arbeitet – aber wie fein durchgehört, intensiv und zwingend ist diese Musik! Beide Instrumente in einem wahrhaft klanglichen Dialog. Ein Meisterwerk! Auf ganz andere Weise überzeugen Dorothee Eberhardts Träume, ein polystilistisch buntes Encore von augenzwinkerndem Humor, Barbara Hellers atmosphärisches, gleichsam improvisatorisch angelegtes Parlando und Caroline Ansinks höchst flötenidiomatisches, dunkel gefärbtes und stilistisch individuelles Epitaph für Marius. Christine K. Brückners Tsetono nach Annette Schlünz' grandiosem Werk an den Schluss der CD zu setzen, war kein kluger Schachzug. So wirkt die kurze Komposition leider weitaus naiver als sie eigentlich ist.
Klanglich hat die Tontechnik gute Arbeit geleistet und präsentiert Flöte und Klavier in bester Balance bei angenehmer Räumlichkeit. Das Beiheft liefert leider so gut wie keine essentiellen Informationen über die eingespielten Werke, lediglich einige kurze biographische Angaben.
Insgesamt also eine Produktion mit einem zweifelhaften dramaturgischen Konzept und interpretatorischen Schwächen, aber auch einigen Glanzpunkten, die einen Kauf letztlich doch lohnen.
Heinz Braun † [01.09.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anna Amalia von Preußen | ||
1 | Sonate F-Dur für Flöte und B.c. | 00:09:01 |
Anna Bon di Venezia | ||
4 | Sonate G-Dur op. 1 Nr. 6 für Flöte und B.c. | 00:09:41 |
Leopoldine Blahetka | ||
7 | Introduktion und Variationen op. 39 für Flöte und Klavier | 00:08:29 |
Cécile Louise Chaminade | ||
8 | Sérénade aux Étoiles op. 142 für Flöte und Klavier | 00:04:30 |
Mélanie Bonis | ||
9 | Pièce op. 189 für Flöte und Klavier | 00:03:38 |
Germaine Tailleferre | ||
10 | Forlane für Flöte und Klavier | 00:02:22 |
Lili Boulanger | ||
11 | Nocturne für Flöte und Klavier | 00:02:49 |
Barbara Heller | ||
12 | Parlando für Flöte und Klavier | 00:03:37 |
Gloria Coates | ||
13 | Phantom für Flöte und Klavier | 00:05:22 |
Dorothee Eberhardt | ||
14 | Träume für Flöte und Klavier | 00:03:36 |
Caronline Ansink | ||
15 | Epitaph für Marius für Flöte und Klavier | 00:05:13 |
Annette Schlünz | ||
16 | tastend, tränend | 00:06:04 |
Christine K. Brückner | ||
17 | Tsetono für Flöte und Klavier | 00:03:06 |
Interpreten der Einspielung
- Elisabeth Weinzierl (Flöte)
- Eva Schieferstein (Klavier, Cembalo)
- Philipp von Morgen (Violoncello)