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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Ottorino Respighi

Sinfonia drammatica • Belfagor Overture

BIS 2210

1 CD/SACD stereo/surround • 70min • 2015

13.07.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Mit der Sinfonia drammatica, seiner einzigen Symphonie, hat Ottorino Respighi 1913-14 ein überwältigendes Werk geschaffen, das wohl nicht zufällig ungefähr zur gleichen Zeit wie Reinhold Glières gigantische Ilya Murometz-Symphonie entstand. In jeder Hinsicht herrscht hier verschwenderische Fülle und Weitläufigkeit, und es ist aufschlussreich, die Martucci-Nachfolge in der italienischen Symphonik zu beobachten, indem man die zwei gewaltigen frühen Symphonien Alfredo Casellas hinzuzieht, in welchen sich besonders ein offenkundiger Niederschlag der Erfahrung Mahler kundtut. Mag dies schon in den epischen Dimensionen der dramatischen Inszenierung erstaunen, so schießt Respighi in seiner Sinfonia drammatica noch weit darüber hinaus – fast, als hätte er unter Beweis stellen wollen, dass er den aufstrebenden Kollegen nicht nur in Schlagdistanz halten, sondern in jeder Hinsicht übertreffen kann. Die in drei umfangreichen Sätzen riesenhaft aufragende und sich über eine Stunde ausdehnende Symphonie hat es, trotz aller unbestreitbaren Meriten und Wirkungskraft, nie ins Repertoire geschafft, und ich wüsste nicht, wann sie in den letzten Jahren irgendwo im Konzertsaal erklungen wäre. Gründe hierfür sind gewiss sowohl das Misstrauen in die Italiener bezüglich der großen postromantisch-symphonischen Form, das auch im eigenen Land die Intellektuellen auf kritische Distanz brachte, als auch die Tatsache, dass sie erst 1922 im Druck erschien, und zwar nicht bei seinem Stammverleger Ricordi, sondern – wie das wundervolle Concerto gregoriano, das von den Geigern viel zu selten gespielt wird – bei der Universal Edition in Wien.

Viel wurde geredet und geurteilt über den Eklektizismus der Respighi’schen Symphonie, über die offenkundigen Einflüsse von Richard Strauss, Claude Debussy und Gustav Mahler. Das ist eine sehr oberflächliche Betrachtung, die zudem die von Verdi und – ganz besonders, zumal im Kopfsatz – Tschaikowsky ererbten Anteile überhört. Der Kopfsatz ist zwar der umfangreichsten, jedoch auch der stringenteste Teil des Werkes, als Ganzes am bezwingendsten geformt. Den langsamen Mittelsatz mit seinen Scherzo-artigen Einschüben unter Spannung zu halten, ist eine extreme Herausforderung, die auch hier nicht ganz gelingt. Im Finale ist die Thematik des schnellen Hauptteils nicht auf der Höhe des ersten Satzes, doch der daraus hervorgehende Trauermarsch-Charakter vermag umso mehr zu fesseln. Natürlich ist das alles auch eine theatralische Inszenierung, doch ist sie mit einem tiefen Ernst, der ein wenig an Mahler gemahnt, verwirklicht. Respighi spart nicht mit den orchestralen Mitteln, insbesondere in den machtvollen, durchs Orgelpedal verstärkten Bassregionen. Nicht immer gelingt es Neschling, die kontrastierenden, changierenden Tempoebenen klar zu konfrontieren, und doch steht außer Zweifel, dass es sich hier um die bei weitem beste mir bekannte Aufnahme des Werkes handelt, die Daniel Nazareth (Naxos) und Edward Downes (Chandos) klar hinter sich lässt. Wer nicht gleich in Verlegenheit gerät, wenn ihn gewaltige Klangwirkungen und nicht immer allzu vornehme melodische Einfälle begeistern, wer da also nicht gleich Angst bekommt, man könne ihm schlechten Geschmack attestieren, der kann diese Musik in vollen Zügen genießen – warum denn nicht eine vollwertige italienische Alternative zur hypertrophen Symphonik und Programmmusik der deutschen Kapellmeisterkomponisten um Strauss und Mahler akzeptieren? Warum nicht die Vereinigung der orchestralen Qualitäten russischer und italienischer Couleur, angemischt mit französischen und deutschen Elementen, in all ihrer naiven Pracht bewundern? Ein schicksalhaft anmutendes Hauptthema, aus dem ersten Satz gewonnen, taucht auch in den folgenden Sätzen an Schlüsselstellen auf und hält die Symphonie als Ganzes plakativ zyklisch zusammen.

An dieses großformale Spektakel schließt sich mit der 1925 aus Bestandteilen der gescheiterten Oper Belfagor geistreich zusammengebauten Konzertouvertüre Belfagor ein wirklich zündendes Stück von gut zehn Minuten Dauer an, in welchem Respighi all seine Stärken voll ausspielen kann. Wer ihn nicht mag, wird es wohl schrecklich finden, kann aber nicht ernsthaft bestreiten, dass es meisterhaft gemacht ist. Extreme Gegensätze, spritziger Humor, Groteske, die köstliche Bizarrerie der glissandierenden Oboe, aber auch ornamentierte Anmutungen gregorianischer Choralmelodien, feierliches Schreiten, archaische modale Wendungen, ein höchst überraschender Aufbau, ein vollkommen frenetischer Schluss sind zu bewundern, und alles klingt so verdammt gut, dass jedes Gemecker anämisch wirkt. Das Philharmonische Orchester Lüttich wird in den rasant virtuosen Passagen, in den keck querständischen Imitationen gelegentlich hörbar bis an die Grenzen gefordert, schlägt sich jedoch beeindruckend durch die ungewohnte Partitur, und hier weiß Neschling auch mit den Temponuancen stimmiger umzugehen als seine mir bekannten Vorgänger. Der Aufnahmeklang ist auf dem bekannten außerordentlichen BIS-Niveau, das eine solche Musik auch unbedingt braucht, und der Bookletessay von Jean-Pascal Vachon bietet die wesentlichen Informationen, wobei die Behauptung, Respighis Kollege Gian Francesco Malipiero sei von Rimsky-Korsakov und Strauss beeinflusst worden, nicht einmal auf dessen symphonisches Frühwerk zutrifft. Auf Respighi allerdings umso mehr, auch wenn es ein viel breiteres Spektrum ist, welches er so hinreißend zu seiner eigenen Tonsprache zu fusionieren und umzuformen verstand. Sehr zu empfehlen!

Christoph Schlüren [13.07.2016]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ottorino Respighi
1Sinfonia drammatica 00:58:20
4Belfagor (Orchesterouvertüre) 00:10:52

Interpreten der Einspielung

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