Franz Liszt • Arvo Pärt
Via Crucis • Sacred Choral Works
Ondine ODE 1337-2
1 CD • 65min • 2019
05.09.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Franz Liszt meinte, cäcilianisch komponiert zu haben. Aber Franz Xaver Witt und Franz Xaver Haberl, denen er 1879 seine Via crucis zur Veröffentlichung im Regensburger Pustet-Verlag schickte, meinten dies durchaus nicht. Ihnen, den Gralshütern des Palestrina-Stils und der altklassischen Vokalpolyphonie, war Liszts behaupteter „Cäcilianismus“ suspekt. Die Veröffentlichung unterblieb, Via crucis wurde erst 1929 in Budapest uraufgeführt.
In der Tat ist Liszts spröd-abstraktes Spätwerk mit seiner Verquickung von extrem schlichten Satzweisen und kühner Harmonisierung, diese Mixtur aus Gregorianik und glühender Harmonik, aus Solostellen, Frauenchor und poetisch erzählenden Klavierstücken, alles andere als cäcilianisch schlicht, in seiner Wirkung aber doch klingend und ein Werk „aus innig katholischem Herzensbedürfnis“ heraus geschaffen, wie Liszt selber schrieb.
Aufgeführt wird diese musikalische Kreuzwegbetrachtung nicht oft, dafür gibt es aber viele Aufnahmen, der Onlineshop von jpc listet alleine zwölf auf. Als Vergleichsaufnahme dient die Aufnahme beim Label Naxos innerhalb des Liszt-Gesamtwerks mit dem Choir of Radio Svizzera unter Diego Fasolis aus dem Jahre 1993.
Wo Fasolis 35:48 Minuten braucht, braucht Kaspar Pitniņš mit dem Estonian Philharmonic Chamber Choir 43:08 Minuten, lässt also deutlich breiter, gedehnter aussingen. Der Choir of Radio Svizzera bleibt gläubig-schlicht, der Estonian Philharmonic Chamber Choir ist vibratoreicher, vor allem in den Solostimmen kunstvoller, kunstreicher, insgesamt artifizieller und oratorienhafter dezidiert, ja entschlossen – dafür weniger unmittelbar zu Herzen gehender, weniger „innig“, weniger „Herzensbedürfnis“. Andrerseits aber zauberhaft das immer wiederkehrende Stabat mater der Frauenstimmen, das im hervorragend eingefangenen Kirchenhall schwebt. Das Consummatum est der Frauenstimmen in Station XII ist schmerzlich-schön, dafür bleibt die Frauensolostimme in der letzten Station etwas neutral. Populistisch-hasserfüllt ist das Crucifige bei Station XI. Viel aussagend in seiner Ausdrucksfülle ist das Klavier-Spiel von Kalle Randalu: Immerhin werden einige Stationen nur durch das Klavier erzählt. Irritierend ist, dass im Booklet einige Textstellen fehlen (Stationen IV, V, X, XIII).
Liszts Via crucis mit Werken von Arvo Pärt zu kombinieren, ist nicht nur satztechnisch schlüssig – auch Pärt greift auf alte kirchenmusikalische Formen zurück –, sondern auch klanglich. Auch Pärt arbeitet mit Reduziertheit und Klang-Askese. Hier ist der Estonian Philharmonic Chamber Choir in seinem Element: Höchste Intonationssauberkeit, größte Transparenz, Homogenität des Chorklangs, schönster Klangfluss und Natürlichkeit der dynamischen Ausformung prägen seine Interpretation der vier Chorstücke. Man könnte meinen, dass der Pärt’sche „Tintinnabuli“-Stil in Summa, der Vertonung des Credo, durch weniger Legato prägnanter und dass Zwei Beter durch dramatischere Konsonantenbehandlung eindringlicher würde – aber das ist reine Interpretationssache, also auch rein subjektive Kritiker-Meinung. Die lyrischere Gestaltung, die Kaspar Pitniņš wählt, unterstützt die meditative Wirkung dieser Musik.
Rainer W. Janka [05.09.2019]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Arvo Pärt | ||
1 | Solfeggio | 00:03:28 |
2 | Summa | 00:06:21 |
3 | Zwei Beter | 00:05:25 |
4 | The Woman with the Alabaster Box | 00:05:57 |
Franz Liszt | ||
5 | Via crucis S 53 | 00:43:08 |
Interpreten der Einspielung
- Kalle Randalu (Klavier)
- Estonian Philharmonic Chamber Choir (Chor)
- Kaspars Putniņš (Dirigent)