Dietrich Buxtehude
Complete Organ Works I
cpo 555 253-2
2 CD/SACD stereo • 2h 16min • 2018
23.07.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Dietrich – nach den meisten Quellen: Dieterich - Buxtehude gehört zu den zentralen Komponisten der zweiten Hälfte des 17. Jarhunderts. Ihm gelang als erstem, die Synthese des niederländisch-norddeutschen Orgelstils mit seinen kunstvollen Techniken der Choralbearbeitung und dem virtuosen Pedalspiel mit den italienischen, über Johann Jacob Froberger tradierten Toccatenformen des „Stylus phantasticus“ zu verbinden. Dieser phantastische Stil zeichnete sich durch derartig rhythmisch-metrische Freiheit aus, dass Buxtehudes französische Zeitgenossen Louis Couperin und Jean Henri d’Anglebert in ihren Preludes non mesurées nur noch die Tonhöhen notierten und deren Ausführung anhand harmonischer Anhaltspunkte den Interpreten überließen. Wichtige Werke Buxtehudes wurden durch Johann Sebastian Bach und seinen älteren Bruder Johann Christoph im Andreas-Bach-Buch und der Möllerschen Handschrift als Unikate überliefert. Einflüsse finden sich von den frühen Toccaten bis ins Wohltemperierte Klavier, ja sogar bis ins Weihnachtsoratorium, wo die Arie „Ich will nur Dir zu Ehren leben“ auf den zweiten Fugenabschnitt der Manualiter-Toccata BuxWV 163 zurückgreift.
Waterkant trifft Mittelmeer
Welche Kompositionen Buxtehude auf „seiner“ Orgel in St. Marien zu Lübeck wirklich gespielt hat, muss offen bleiben. Für die Präludien in fis-moll und E-Dur ist dies höchst unwahrscheinlich. Dem Instrument fehlten nämlich bis 1733 – nach Auskunft des renommiertesten Spezialisten für den norddeutschen Orgelbau des Barock, Dr. Ibo Ortgies – durchweg die Obertasten in der untersten Oktave. Zudem wären bei der damals üblichen mitteltönigen Stimmung für einen Fis-Dur Schlussakkord geteilte Obertasten – sogenannte Subsemitonien - für b/ais und für H-Dur solche für dis/es erforderlich gewesen. Somit ist bei diesen und den meisten anderen Werken anzunehmen, dass sie als Improvisationsmodelle für den Unterricht konzipiert wurden und auf einem zweimanualigen Clavichord mit angehängtem Pedal erklangen. Die Orgel schied als Übeinstrument schon deshalb aus, weil hierfür die Bälgetreter hätten extra bezahlt werden müssen. Die Amtsinhaber selbst dürften anhand der im Unterricht erlernten Modelle durchweg improvisiert haben und maximal eine teilweise bezifferte Bass-Stimme als Gedächtnisstütze genutzt haben.
Souveräne Technik
Friedhelm Flamme ordnet die beiden SACDs nicht nach Gattung, sondern als Konzertprogramme, die freie Werke und Choralgebundenes abwechslungsreich mischen. Seine Tempi sind zumeist ruhiger als die der manchmal arg sportiven Aufnahme Ton Koopmans. Wie man aufgrund seiner immensen Erfahrungen mit dem norddeutschen Frühbarock annehmen muss, macht er stilistisch vieles richtig und verfügt über die für diese Werke unbedingt erforderliche souveräne Technik. Dabei orientiert er sich eher an Samuel Scheidt und Franz Tunder als an Froberger und seinen französischen Zeitgenossen.
Diese engere Orientierung am überlieferten Notentext als etwa bei Koopman und Simone Stella hält ihn von improvisierten Verzierungen ab. Kadenztriller lässt er – mir zu – häufig aus. Das relativ strikt durchgehaltene Grundtempo ist in den choralgebundenen Werken sinnvoll. Die „phantastischen“ Stücke bedürfen jedoch eines individuelleren, rhetorischen Zugriffs. So würden zu Beginn der hochdramatisch-pathetischen Toccata in d BuxWV 155 rhetorische Pausen – wie sie Stella und Koopman gezielt einsetzen – die Spannung ungemein erhöhen. In der Passacaglia in d BuxWV 161 triebe ein präziser artikuliertes Ostinato mit klar abgesetzten Halben die Oberstimmen zu mehr tänzerischem Schwung. Interessanterweise ist Koopman hier um ein Sechstel langsamer und trifft – auch durch phantasievolle Verzierungen – den Pomp à la Lully weit genauer. Die Probleme in den Temporelationen der 3 fugierten Abschnitte des Präludiums manualiter in g BuxWV 163 bekommen meist nur die Cembalisten vollkommen in den Griff. Buxtehude notiert den 1. Abschnitt im 12/8-Takt, der ein Gigue-Tempo suggeriert. Auch der 2. Abschnitt im Stil eines italienischen Konzertsatzes ist in diesem Tempo durchaus effektvoll. Das dicke Ende droht jedoch am Schluss, wo der 12/16-Takt ein doppelt so schnelles Tempo wie im 1. Abschnitt fordert.
Sorgfältiges Booklet
Das Booklet ist schon deshalb zu loben, weil es alle Registrierungen und die Disposition der schönen Trautmann-Orgel der Klosterkirche St. Georg zu Grauhof bei Goslar akribisch aufführt und daneben höchst informative Texte bereitstellt. Die Stereo-Abmischung dieser Surround SACD könnte transparenter sein, da der Hall artikulatorische Details zu verschlucken scheint.
Fazit: Ein solider Einstieg in das Orgelschaffen Diet(e))rich Buxtehudes. Wer es aufregender wünscht, greife zu den Aufnahmen von Simone Stella oder Ton Koopman.
Vergleichsaufnahmen:Simone Stella (Brilliant Classics), Ton Koopman (Challenge Classics).
Thomas Baack [23.07.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Dietrich Buxtehude | ||
1 | Präludium C-Dur BuxWV 137 | 00:05:32 |
2 | Nun bitten wir den Heiligen Geist BuxWV 208 | 00:02:18 |
3 | Nun bitten wir den Heiligen Geist BuxWV 209 | 00:02:25 |
4 | Nun lob, mein Seel, den Herren BuxWV 213 | 00:06:27 |
5 | Auf meinen lieben Gott BuxWV 179 | 00:04:21 |
6 | Ciacona e-Moll BuxWV 160 | 00:05:13 |
7 | Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand BuxWV 198 | 00:02:06 |
8 | Preludium manualiter in g BuxWV 163 | 00:07:29 |
9 | Ich dank dir schon durch deinen Sohn BuxWV 195 | 00:05:13 |
10 | Magnificat primi toni BuxWV 204 | 00:03:28 |
11 | Magnificat noni toni BuxWV 205 | 00:02:41 |
12 | Präludium F-Dur BuxWV 144 | 00:03:04 |
13 | Ach Gott und Herr BuxWV 177 | 00:02:34 |
14 | Ich dank dir, lieber Herre BuxWV 194 | 00:04:52 |
15 | Präludium G-Dur BuxWV 147 | 00:03:39 |
16 | Präludium und Fuge fis-Moll BuxWV 146 | 00:08:03 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Toccata d-Moll BuxWV 155 | 00:07:00 |
2 | Mit Fried und Freud ich fahr dahin BuxWV 76a | 00:06:37 |
3 | Präludium D-Dur BuxWV 140 | 00:06:23 |
4 | Passacaglia d-Moll BuxWV 161 | 00:05:37 |
5 | Toccata F-Dur BuxWV 157 | 00:04:58 |
6 | Nimm von uns, Herr, du treuer Gott BuxWV 207 | 00:06:55 |
7 | Canzonetta in a BuxWV 225 | 00:01:50 |
8 | Canzonetta in C BuxWV 167 | 00:01:33 |
9 | Ein feste Burg ist unser Gott BuxWV 184 | 00:03:04 |
10 | Fuga C-Dur BuxWV 174 | 00:03:03 |
11 | Fuga in G BuxWV 175 | 00:03:13 |
12 | O lux beata Trinitas BuxWV 216 (Fragment) | 00:01:08 |
13 | Präludium e-Moll BuxWV 143 | 00:05:23 |
14 | Mensch, willt du leben seliglich BuxWV 206 | 00:02:41 |
15 | Präludium und Fuge E-Dur BuxWV 141 | 00:06:45 |
Interpreten der Einspielung
- Friedhelm Flamme (Orgel)