VENEREM
early art music
Telos Music TLS 247
1 CD • 55min • 2020
21.04.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Man muss sich gar keine überambitionierten Konzepte aus den Fingern saugen, wenn es darum geht, auf den eigenen Instrumenten die Musik, die man liebt, zu spielen. So wirkt es, wenn das Ensemble Venerem mit unverkrampfter Direktheit zu Werke geht und alte Vokalmusik in neue Klangwelten versetzt. Vorzugsweise mit E-Bass, Schlagzeug, elektrischem Fender-Rhodes-Piano – und immer mit der strahlkräftigen, wandlungsfähigen Gesangsstimme von Laureen Stoulig-Thinnes im Zentrum.
Erfrischend unkonventionell
Der traditionelle Folksong Greensleves aus dem 16. Jahrhundert hat sich allein schon wegen seiner melodischen Präsenz über jeden Zeitkontext erhoben. Auf dieser Aufnahme bringen Laureen Stoulig-Thinnes und ihre Band eine erfrischend pop-jazzige Note ins Spiel. Bevor dies aber zur „Masche“ erstarrt, erkundet das Ensemble Venerem viele weitere, immer differenzierter werdende Wege in die Tiefen der Musik. Henry Purcells Music for a While bietet mit seinen harmonischen Sequenzierungen eine Schnittstelle zwischen Barock-Stilistik und Jazz. Das gibt der Lust zu Improvisieren ausgesprochen viel Futter.
Altes wirkt wie neu erschaffen
Ergreifend wird es danach: Laureen Stoulig-Thinnes Stimme berührt vor allem in den Silbenfragmenten am Beginn von What Power Art Thou. Wunderbar feinsinnig kann die französische Sängerin artikulieren! Aber vor allem die Interaktion besticht: Strike the Viol, eine Ode für den Geburtstag der Queen Mary beginnt mit Klaviergirlanden, bevor die Rhythmusgruppe einen anmutigen Fluss aufnimmt und schließlich der Gesang das kraftvolle Regiment übernimmt. Rock und Barock liegen gar nicht so weit voneinander entfernt, vor allem, wenn die Klangfarben der „neuen“ Instrumente hier so wirken, als wäre die Originale für sie erschaffen.
Meditationen auf Perkussionsinstrumenten und Klavier evozieren zuweilen Schwebezustände, etwa im Intro zum tief melancholischen Mariam Matrem Virginem aus dem Codex Montserrat aus dem 15. Jahrhundert, was einmal mehr dem einfühlsamen Gesang von Laureen Stoulig-Thinnes den roten Teppich ausrollt. Jazz ist keine Stilrichtung, sondern eine Haltung, welche erst lebt, wenn sie sich ein Sujet einverleibt. In diesem Fall sind es Lieder aus der Renaissance oder noch früher. Dann gibt es auch einen „Barock-Hit“, nämlich Georg Friedrich Händels Lascia ch'io pianga, den die Band ohne zuviel Drumherum, aber mit eindrücklich aufblühendem Sopran würdevoll präsentiert.
Die Mystik ferner Jahrhunderte
Vivaldi würde heute wohl auch von den Errungenschaften von E-Bass und Schlagzeug begeistert sein: Darüber lässt sich nachdenken, wenn Venerem mit dessen Aria In furore iustissimae irae rockig in die Vollen geht, um den Koloraturenritt der Sängerin zu befeuern. Ein weitgespannter französischer Folksong, der sich dynamisch-mächtig steigert, beschwert dem Programm schließlich ein kraftvolles Finale. Altes lebt in neuer Klangwelt. Die Mystik ferner Jahrhunderte wird zugleich hautnah erfahrbar, wenn Sopranistin Laureen Stoulig-Thinnes, Pianist Marlo Thinnes, Elmar Federkeil am Schlagzeug und Simon Zauels am Bass die Tore zwischen einer Clubbühne und einem stillen Kirchenraum ganz weit aufreißen.
Stefan Pieper [21.04.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
trad. | ||
1 | A Newe Northen Dittye of ye Ladye Greene Sleeves (English folk song) | 00:06:10 |
Henry Purcell | ||
2 | Music for a while Z 583 Nr. 2 (Bühnenmusic - aus: Oedipus Z 583) | 00:05:24 |
3 | What power art thou (aus: King Arthur Z 628) | 00:03:45 |
4 | Strike the Viol Z 323/5 (Geburtstagsode für Queen Mary) | 00:06:07 |
Thoinot Arbeau | ||
5 | Belle qui tiens ma vie (Pavane aus Orchésographie) | 00:04:58 |
Anon. | ||
6 | Mariam matrem virginem (aus dem Libre Vermell de Montserrat, Spanien 14. Jh.) | 00:06:49 |
Barbara Strozzi | ||
7 | Che si può fare (aus op. 8) | 00:05:54 |
Georg Friedrich Händel | ||
8 | Lascia ch'io pianga (Almirena - aus: Rinaldo) | 00:04:03 |
Antonio Vivaldi | ||
9 | In furore giustissimae irae c-Moll RV 626 | 00:04:35 |
trad. | ||
10 | Quand je menai mes chevaux boire (franz. Volksweise) | 00:07:06 |
Interpreten der Einspielung
- Venerem (Ensemble)