Lise Davidsen
Beethoven • Wagner • Verdi
Decca 485 1507
1 CD • 63min • 2020
28.05.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit der jungen Anna Netrebko hat keine Sängerin mehr einen derartigen Hype erlebt wie die jetzt 34jährige Norwegerin Lise Davidsen, die sich als Ariadne in Aix-en-Provence und Elisabeth in Bayreuth schon international einen Namen machen und vor drei Jahren mit der Firma Decca einen Exklusiv-Vertrag abschließen konnte. Ein Teil der Presse war rasch bei der Hand, sie zur neuen Kirsten Flagstad auszurufen. Doch solche Vorschußlorbeeren sind für eine aufstrebende Künstlerin eher eine Hypothek als eine Starthilfe. Frau Davidsen verfügt zwar über beeindruckendes stimmliches Material, das sie für das lyrisch-dramatische Zwischenfach prädestiniert, aber noch nicht über das gestalterische Format, um in die Fußstapfen früherer Gesangsgrößen zu treten und ganz auf ihre Person zugeschnittene Recitals zu rechtfertigen.
Über ihre Debüt-CD mit Werken von Richard Wagner und Richard Strauss hat Klassik-Heute-Autor Clemens Höslinger auf dieser Seite ein sehr harsches Urteil gefällt (07.07.2019). Seine prinzipiellen Einwände (undeutliche Diktion, Tonproduktion ohne legato) kann die Sängerin auch in ihrem zweiten Album nicht entkräften. Wobei ich den Eindruck habe, dass die partielle Unverständlichkeit der Texte nicht an sprachlichen Defiziten liegt, sondern am mangelnden Verständnis der gesungenen Inhalte. Das wird besonders in den Wesendonck-Liedern auffällig, mit denen sich Davidsen als die künftige große Wagner-Sängerin empfehlen will. Da gibt es nun wahrlich genug einprägsame Interpretationen auf Tonträgern! „Hier wird zwar gesungen, aber nichts gesagt“, urteilte Höslinger über den Vortrag von Strauss’ Vier letzte Lieder. Das gilt auch hier.
Mangel an Ausdruck
Doch auch als dramatische Sängerin kann die Norwegerin nicht wirklich überzeugen. Sicher ist es schwierig, mit jeweils einer einzigen Arie einen Bühnencharakter auf den Punkt zu bringen. Doch auch die Momentaufnahmen bleiben merkwürdig profillos. Medea und Santuzza beispielsweise hat Lise Davidsen schon auf der Bühne gesungen und empfindet nach eigener Aussage Empathie für deren Schicksale. Doch in ihrer Wiedergabe der Arien wird das nicht erkennbar. Es fehlt deutlich an Passion und individuellem Schmerzensausdruck. Wo sie emotional aus sich herausgeht, gerät sie schnell ins Schimpfen. Bei den beiden Verdi-Gebeten, „Pace, pace“ aus La Forza del destino und „Ave Maria“ aus Otello, bleiben trotz schöner Piano-Momente zu viele Wünsche bezüglich weitbogiger Kantilene offen. Die einleitenden Beethoven-Arien entsprechen der Entwicklung der Stimme im gegenwärtigen Zustand am besten. Doch Leonores todesmutige Entschlossenheit verlangt mehr gesangliche Identifikation und die lange Konzertarie Ah! Perfido auf einen alten Text von Metastasio kann sehr ermüdend wirken, wenn sie nicht phantasievoll phrasiert wird. Das ist mein Haupteinwand auch gegen diese zweite CD: Davidsens Unfähigkeit, Figuren und Situationen zu vergegenwärtigen. Es bleibt immer beim reinen Notenvollzug.
Leider erfährt die junge und entwicklungsfähige Sopranistin, die auf dem Weg von der stolzen Stimmbesitzerin zur reifen Künstlerin noch eine längere Strecke vor sich hat, durch den erfahrenen Dirigenten Sir Mark Elder nicht die notwendige Unterstützung: Das Orchesterspiel ist routiniert und defensiv, bei Mascagni sogar ausgesprochen schleppend.
Ekkehard Pluta [28.05.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Abscheulicher! Wo eilst du hin? - Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern (Rezitativ und Arie der Leonore, 1. Akt - aus: Fidelio op. 72 (Oper in zwei Aufzügen)) | 00:07:22 |
2 | Ah! perfido op. 65 (Konzertarie für Sopran) | 00:12:45 |
Luigi Cherubini | ||
5 | Dei tuoi figli la madre (aus Medea) | 00:04:17 |
Pietro Mascagni | ||
6 | Voi lo sapete, o mamma (Arie der Santuzza - aus: Cavalleria rusticana) | 00:06:49 |
Giuseppe Verdi | ||
7 | Pace, pace, mio Dio (4. Akt, 2. Szene: Melodie der Leonora - aus: La Forza del destino) | 00:05:53 |
8 | Ave Maria, piena di grazia (4. Akt: 2. Szene: Desdemona - aus: Otello) | 00:05:39 |
Richard Wagner | ||
9 | Der Engel (aus: Wesendonck-Lieder) | 00:03:09 |
10 | Stehe still! (aus: Wesendonck-Lieder) | 00:03:52 |
11 | Im Treibhaus (aus: Wesendonck-Lieder) | 00:06:16 |
12 | Schmerzen (aus: Wesendonck-Lieder) | 00:02:26 |
13 | Träume (aus: Wesendonck-Lieder) | 00:04:58 |
Interpreten der Einspielung
- Lise Davidsen (Sopran)
- Rosalind Plowright (Mezzosopran)
- London Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Mark Sir Elder (Dirigent)