Joseph Haydn
String Quartets Vol.15 op. 9 no. 4-6
MDG 307 2260-2
1 CD • 60min • 2021
23.10.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mittlerweile seit über drei Dekaden aktiv, hat das Leipziger Streichquartett für das Label MDG eine enorme, in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Diskographie eingespielt, insbesondere auch bezüglich der Breite des Repertoires, das neben den groß angelegten Beethoven-, Schubert- und Mozart-Zyklen auch viel Seltenes aus dem späten 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit umfasst. Seit einiger Zeit – die erste CD erschien 2009 – ist das Quartett nun im Begriff, sämtliche Streichquartette Joseph Haydns einzuspielen, und mittlerweile ist man auch hier bereits bei Folge 15 angelangt, in der die Quartette op. 9 Nr. 4 bis 6 vorgestellt werden (Nr. 1 bis 3 erschienen auf Folge 14).
Zwischen Divertimento und Sturm und Drang
Die Streichquartette op. 9 wurden von Haydn selbst später als seine ersten gültigen Gattungsbeiträge angesehen (in dem Sinne, dass er mit ihnen die Gesamtausgabe seiner Quartette beginnen ließ). Ende der 1760er Jahre komponiert, handelt es sich nicht mehr um frühe Werke, sondern um Musik aus Haydns „Sturm und Drang“-Periode, was speziell im dunkel getönten, expressiven vierten Quartett in d-moll zum Tragen kommt, das offenbar als erstes entstand. Über den gesamten Zyklus hinweg dominiert freilich ein entspannterer Tonfall, der eher mit ursprüngliche Bezeichnung dieser Werke als „Divertimenti“ korrespondiert. Auffällig ist die exponierte Stellung der ersten Violine (zugeschnitten auf Haydns Konzertmeister auf Schloss Esterházy, Luigi Tomasini), die in den ausgedehnten lyrisch-kantablen langsamen Sätzen häufig auch kadenzieren darf.
Zwischen modernem Quartettklang und Aufführungspraxis
Grundsätzlich handelt es sich bei den Neueinspielungen des Leipziger Streichquartetts um Aufnahmen auf hohem Niveau, die von kleineren Mankos abgesehen (leichte Unsauberkeiten in den höchsten Passagen der langsamen Sätze in Nr. 5 und 6, kleinere Wackler im Zusammenspiel in der zweiten Variation des Kopfsatzes von Nr. 5) ein technisch souveränes Ensemble dokumentieren. Das Quartett entscheidet sich dafür, verschiedene Elemente der „historisch informierten“ Aufführungspraxis in seine Interpretationen mit einfließen zu lassen. So bewegen sich die Tempi tendenziell eher auf der schnellen Seite, weniger eigentlich in Nr. 4, aber deutlich z.B. im zweiten und vierten Satz von Nr. 5 oder im Kopfsatz von Nr. 6; auch in den langsamen Sätzen werden die Adagio- oder Largo-Vorschriften sicher nicht voll ausgereizt, ohne dabei in Extreme zu verfallen. Der Gebrauch von Vibrato wird sparsam dosiert, besonders augenfällig etwa zu Beginn von Nr. 5, wenn das Thema das Variationssatzes eher kühl daherkommt; in den schnellen Sätzen (z.B. erster Satz von Nr. 6) schlägt der Ton manchmal etwas ins Ruppige um. Bei längeren Tönen besteht eine Tendenz zur Verkürzung, ganz besonders z.B. im Menuett von Nr. 5, wenn aus Halben Vierteln mit Pause werden. Synkopen werden dagegen häufig tendenziell noch mit einem Crescendo versehen (und so etwas überinterpretiert, vgl. z.B. ab Takt 34 im Kopfsatz von Nr. 6).
Bewusstes Gestalten von Details
Generell zeugen die Aufnahmen von einem bewussten, überlegten Umgang mit den Partituren; es ist dem Ensemble erkennbar ein Anliegen, diverse Charakteristika der Musik klar herauszuarbeiten. Was prinzipiell erfreulich ist, führt allerdings da und dort zu etwas zu expliziten Resultaten, so etwa im Menuett aus Nr. 4: gewisse Stockungen und eine dezidiert melancholische Komponente sind hier (z.B. in Form von zahlreichen Pausen) zweifelsohne Bestandteil der Musik. Die Leipziger unterstreichen dies sinnigerweise durch den Gebrauch von Rubati und Ritardandi, für meine Begriffe allerdings etwas überdosiert. Gerade der zweite Teil des Menuetts wirkt so zu kleingliedrig. Diese Tendenz ist auch anderenorts zu beobachten, zumal das Quartett gerne das Phrasenende stark abschwächt (Takt 24 im Kopfsatz von Nr. 4, Takt 2 bzw. 36 im langsamen Satz von Nr. 5). Etwas intensiver könnten dagegen die Momente ausgespielt werden, in den die drei anderen Stimmen stärker zum Zuge kommen, so etwa die Triolen in Takt 55 im langsamen Satz von Nr. 4 oder die durch die Stimmen wandernden Sechzehntel im langsamen Satz von Nr. 5. So bleibt eine gewisse Enttäuschung, da bei allem Wert auf Details die großen Bögen und Linien dieser Musik etwas zu kurz kommen. Für mich ist die Aufnahme des Auryn-Quartetts dieser Werke (die deutlich weniger Wert auf Historismen legt) die bessere Wahl, wobei die Leipziger sich im Grunde genommen auch selbst eine starke Konkurrenz sind, etwa in Form ihrer Aufnahmen der späten Mozart-Quartette. Die Tonqualität ist sehr gut, das Beiheft insgesamt sehr ordentlich.
Holger Sambale [23.10.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | Streichquartett d-Moll op. 9 Nr. 4 Hob. III:22 | 00:20:17 |
5 | Streichquartett B-Dur op. 9 Nr. 5 Hob. III:5 | 00:22:22 |
9 | Streichquartett A-Dur op. 9 Nr. 6 Hob. III:24 | 00:17:20 |
Interpreten der Einspielung
- Leipziger Streichquartett (Streichquartett)