Darius Milhaud
Mélodies & Chansons
MDG 613 2271-2
1 CD • 60min • 2021
17.02.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das bewährte Duo Falk-Schleiermacher ist bei der wohl systematischen Aufarbeitung französischer Liedkunst des frühen 20. Jahrhunderts nun folgerichtig bei Darius Milhaud (1892-1974) angelangt, dem neben Arthur Honegger und Francis Poulenc auch heute noch meistgespielten Komponisten aus der „Groupe de Six“. Sein Werkverzeichnis ist mit 440 Opuszahlen sehr stattlich und die Vokalmusik spielt darin eine bedeutende Rolle. Das vorliegende Album, dem möglicherweise noch ein weiteres folgen wird, deckt nur einen kleinen Teil davon ab. Die Mehrzahl der hier präsentierten Lieder und Chansons entstand während des 1. Weltkriegs und kurz danach. Es zeigt sich in diesen Ausschnitten aber schon die ganze Bandbreite des Vokalkomponisten Milhaud, vom neoklassizistischen Kunstlied zum Cabaret Song.
Melancholie und Resignation
Zu den frühesten Liedkompositionen Milhauds gehören Gedichte seines Freundes Léo Latil, der im 1. Weltkrieg gefallen ist. In den Quatre Poèmes op. 20 (1914), in der noch Einflüsse von Debussy und Ravel erkennbar sind, kündigt sich sein eigener Stil bereits an, geprägt von der Polytonalität, vom Übereinanderschichten verschiedener Tonarten, die aber in der Vermischung noch identifizierbar sind. Das war sein Beitrag zur musikalischen Avantgarde seiner Zeit. So etwas wie den „Durchbruch“ in der öffentlichen Wahrnehmung schaffte er dann mit den Poèmes juifs (1916), die bis heute zu seinen bekanntesten Vokalkompositionen zählen und auch in mehrere Einspielungen vorliegen. Die Texte eines unbekannten Autors fand er in einer Zeitschrift. Es ging ihm bei der Vertonung darum, ihnen eine musikalische Atmosphäre zu schaffen, in denen sie sich voll entfalten können. Das sieht in der Praxis so aus, dass die Gesangslinie geradlinig und einfach gehalten ist, während das Klavier beredt, aber nicht illustrativ die jeweiligen Stimmungen erfasst, die allerdings überwiegend einen melancholischen und resignativen Charakter haben.
Den Schalk im Nacken
Aphoristische Kürze und spielerischer Witz zeichnen die Trois Poèmes de Jean Cocteau (1919) aus, die Erik Satie gewidmet sind, der für die „Groupe de Six“ eine Art Leitfigur war. Eine Gelegenheitsarbeit und vielleicht auch eine Stilübung waren die beiden Impressionen Dans les rues de Rio (1918), in denen Milhaud nicht nur Straßengeräusche imitiert, sondern auch lateinamerikanische Rhythmen verwendet. Die Texte stammen von Paul Claudel, der sich damals als französischer Botschafter in Rio aufhielt und den Komponisten als Sekretär beschäftigte. Bei Le Soirées de Petrograd (1919) handelt es sich um Erinnerungen russischer Emigranten nach der Revolution, die freilich mit Pariserischer Frivolität und parodistischen Elementen musikalisch gestaltet werden. Der Schalk im Nacken sitzt Milhaud aber auch in den Deux Chansons extraites (1938), die ein Beispiel sind für seine zahlreichen Bühnenmusiken, und in der Vocalise (1928), die den Charakter einer Gesangsübung durch einen südamerikanischen Rhythmus im 5/8-Takt unterläuft.
Wie im vorausgegangenen Recital mit Liedern von Arthur Honegger treffen Holger Falk und Steffen Schleiermacher auch hier wieder das richtige Idiom. Falks heller und geschmeidiger Bariton wechselt mühelos vom lockeren Salonton zu lyrischer Innigkeit und unaufdringlicher Melancholie. Schleiermacher gestaltet die dankbaren Klavierparts sehr phantasievoll, aber immer in sicherer Balance mit der Singstimme. Wiederum ist auch seine Werkeinführung im Booklet sehr hilfreich und allgemeinverständlich. Dass dort die Liedtexte nur im Original und in englischer, nicht aber in deutscher Übersetzung abgedruckt sind, ist bei einem deutschen Label allerdings schade.
Ekkehard Pluta [17.02.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Darius Milhaud | ||
1 | Fumée (aus Trois poèmes de Cocteau op. 59) | 00:00:47 |
2 | Fête de Bordeaux (aus Trois poèmes de Cocteau op. 59) | 00:00:44 |
3 | Fête de Montmartre (aus Trois poèmes de Cocteau op. 59) | 00:04:50 |
4 | Le Rémouleur (aus Dans les rues de Rio op. 44a) | 00:00:21 |
5 | Le Marchand de Sorbets (aus Dans les rues de Rio op. 44a) | 00:01:03 |
6 | Chant de Nourrice aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:05:18 |
7 | Chant de Sion aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:02:34 |
8 | Chant du Laboureur aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:02:29 |
9 | Chant de la Pitié aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:02:20 |
10 | Chant de Résignation aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:02:20 |
11 | Chant d'Amour aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:01:30 |
12 | Chant de Forgeron aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:01:46 |
13 | Lamentation aus Poèmes Juifs op. 34 | 00:03:43 |
14 | Les Soirées de Pétrograde op. 55 | 00:13:26 |
26 | L' Abandon op. 20 Nr. 1 (Quatre Poèmes de Léo Latil) | 00:03:56 |
27 | Ma douleur et sa compagne op. 20 Nr. 2 (Quatre Poèmes de Léo Latil) | 00:03:18 |
28 | Le Rossignol op. 20 Nr. 3 (Quatre Poèmes de Léo Latil) | 00:05:57 |
29 | La Tourterelle op. 20 Nr. 4 (Quatre Poèmes de Léo Latil) | 00:03:30 |
30 | Je suis dans le filet (aus: Première Famille op. 193) | 00:01:20 |
31 | Chacun son tour (aus: Première Famille op. 193) | 00:01:39 |
32 | Vocalise op. 105 | 00:00:55 |
Interpreten der Einspielung
- Holger Falk (Bariton)
- Steffen Schleiermacher (Klavier)