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Besprechung CD

Bach's Virtuosos

Midori Seiler

Berlin Classics 0302926BC

1 CD • 59min • 2022

30.04.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Auf diesem reichen Barock-Album der Geigerin Midori Seiler spielt Johann Sebastian Bach die Hauptrolle. Aber auch die Nebenrollen sind sehr gut besetzt, wenngleich nicht prominent. Am ehesten könnte man noch Augustin Reinhard Stricker (um 1675 – 1720) kennen, den „Hochfürstl. Anhaltinischen Capell-Meister zu Cöthen“, wie ihn Johann Gottfried Walther in seinem „Musicalischen Lexicon oder Musicalische Bibliothec [sic]“ von 1732 zitiert; in dieser Funktion war er direkter Vorgänger von Bach.

Dass der Geiger Johann Georg Linike (um 1680 – 1762) aus einer renommierten norddeutschen Musikerfamilie stammt, weiß 1980 schon das New Grove-Wörterbuch, nicht aber, dass der auch kompositorisch produktive gebürtige Hamburger einige Jahre unter Bach Konzertmeister der Köthener Hofkapelle war. Um Joseph Spieß, von dem an Lebensdaten nur kannt ist, dass er gestorben ist (1730), zu begegnen, muss man schon tiefer graben, etwa im Bach-Jahrbuch von 1959. Auch er war Konzertmeister unter Bach, vertrat ihn bei seinen Absenzen und muss mit ihm immerhin so eng befreundet gewesen sein, dass dieser Pate von einem der Söhne Spießens wurde. In Finanzangelegenheiten war der Geiger indes so ungeschickt, dass sein Gehalt vorsichtshalber direkt an seine Frau übergeben wurde.

Italienisch-deutsche Wiederentdeckung

Wahrscheinlich besteht kein direkter Zusammenhang zwischen Geschäftstüchtigkeit und kompositorischem Talent, aber das Violinkonzert e-moll von Joseph Spieß, das erst vor kurzem von dem Musikwissenschaftler Michael Maul wiederentdeckt wurde, ist mit seinem Changieren zwischen harmonisch und rhythmisch italienischem Aroma und einem leicht vorweggenommenen Ton der Empfindsamkeit die faszinierendste dieser Premieren. Besser gespielt als von Midori Seiler und dem von ihr geleiteten Köthener Bachcollektiv kann man sich das nicht vorstellen: Das gut dutzendstarke Ensemble bildet einen vollen, schön klingenden Streicherkörper aus, dessen Tutti kompakte Markierungen setzen, ohne je, wie manchen deutschen wie italienischen Kollegen, gleich rabiat zu werden. Die Rhythmen federn straff, besonders attraktiv etwa in der Suite D-Dur von Johann Georg Linike, wo das spezifische „Over-dotting“, die Schärfung der Punktierungen, den Hörer anspringt und auch die auflockernden Gesten in den Mittelstimmen plastisch herauskommen.

Lizenz zur Bearbeitung

In den Solokonzerten, aber auch in der kontrapunktischen kurzweiligen Sonate für zwei Violinen D-Dur von Bachs Köthener Vorgänger Stricker, strahlt Midori Seilers Spiel entschlossene Ernsthaftigkeit aus, was manche pikante Würzungen, etwa winzige glissandoartig angeschliffene Töne im Finale des Spieß-Konzertes, umso stärker wirken lässt: wie angenehm nonchalantes Augenzwinkern. Die beiden Konzerte von Johann Sebastian Bach, das Violinkonzert g-moll nach dem Cembalokonzert Nr. 5 f-moll BWV 1056 und das Konzert für drei Violinen D-Dur nach dem für drei Cembali C-Dur BWV 1064 – dass Bachs Autorschaft sowohl für das verlorengegangene Original als auch für die Bearbeitung angezweifelt wird, spielt hinsichtlich der kompositorischen Qualität keine Rolle –, hat Midori Seiler so idiomatisch rekonstruiert, dass auch das geübte Ohr keinerlei Verfremdung hört; tatsächlich verflechten sich gerade in BWV 1064 die drei Violinen so intensiv ineinander, dass man diese Expressivität beim Wiederhören der geläufigen Klavierfassung fast zu vermissen beginnt. Und im langsamen Satz von BWV 1056 ergeht sich Midori Seiler in lasziven Portati, sodass hier eine verführerische Figur erscheint wie aus einer der Opern, die Bach bekanntlich nicht geschrieben hat; und gerade nicht das lyrische Ich aus der Kantate BWV 156, in der dieser Satz auch vorkommt, und deren Titel lautet: „Ich steh´ mit einem Fuß im Grabe“ . Wir freuen uns nicht nur auf weitere Aufnahmen von Midori Seiler, sondern erteilen ihr hiermit auch die Lizenz, auch die übrigen Konzerte für ein bis vier Klaviere für ebensoviele Violinen zu bearbeiten ...

Prof. Michael B. Weiß [30.04.2023]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Joseph Spieß
1Konzert e-Moll für Violine, Streicher und B.c. 00:13:19
Georg Linike
4Suite D-Dur für Streicher und B.c. 00:14:05
Johann Sebastian Bach
10Konzert g-Moll BWV 1056R für Violine, Streicher und B.c. 00:09:24
Augustin Reinhard Stricker
13Sonate D-Dur für 2 Violinen und B.c. 00:06:11
Johann Sebastian Bach
17Konzert D-Dur BWV 1064R für 3 Violinen, Streicher und B.c. 00:15:54

Interpreten der Einspielung

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