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Besprechung CD

Rush

Juri Vallentin, Oboe • ensemble reflektor

Berlin Classics 03035109BC

1 CD • 51min • 2024

12.03.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Der Oboist Juri Vallentin, Jahrgang 1990, hat sich in den vergangenen Jahren rapide einen Namen gemacht; Marksteine sind u.a. der XVI. Internationale Tschaikowski-Wettbewerb 2019 (6. Platz in der Kategorie Holzblasinstrumente) sowie seine Berufung zum Professor für Oboe an der Hochschule für Musik Karlsruhe im Alter von erst 30 Jahren. Die vorliegende CD, „Rush‟ betitelt, ist sein viertes Album, und wie es für ihn charakteristisch ist, möchte Vallentin auch hier Grenzen überschreiten, ein Programm anbieten, das eigene, durchaus ungewohnte Schwerpunkte setzt. In diesem Falle bedeutet das erst einmal, dass er ein Barock-Album mit Konzerten von Platti, Marcello und Vivaldi um Arrangements von Popsongs aus jüngster Zeit ergänzt; ihm zur Seite steht dabei das ensemble reflektor.

Wille zu eigenen Akzenten

Bei den drei Konzerten handelt es sich um das Oboenkonzert g-moll von Giovanni Benedetto Platti, das Oboenkonzert d-moll von Alessandro Marcello, das bekanntlich auch in einem Arrangement für Klavier von Johann Sebastian Bach (BWV 974) vorliegt, auf Basis dessen Vallentin eine Mischfassung erstellt hat, die u.a. auch Bachs Veränderungen der Harmonik mit einbezieht, sowie das Konzert für zwei Oboen d-moll RV 535 von Antonio Vivaldi mit Sergio Sanchez an der zweiten Oboe. Grundsätzlich erlebt man in all diesen Werken Vallentin als einen Oboisten mit einem flexiblen, agilen, eher hell timbrierten Ton, der Sinn für die Linien der Musik besitzt und insbesondere immer wieder durch seine wohlabgestufte Phrasierung besticht. Dabei verbinden (speziell auch von Seiten des Orchesters) die Interpretationen der barocken Konzerte Tendenzen der historisch informierten Aufführungspraxis mit einem ausgeprägten Willen zu individuellen Akzenten. Gleich den ersten Satz von Plattis Konzert verstehen Vallentin und seine Mitstreiter geradezu dramatisch, mit einem vom Non-Vibrato der Streicher und einer fast schon betont wuchtigen Continuo-Sektion geprägten Klangbild, letztlich jedoch m.E. eine Spur zu hektisch. Dies gilt über weite Strecken weniger für das Finale, wobei die Schlusstakte allerdings (nicht völlig überzeugend) in eine Art Stretta verwandelt werden. Sehr eigenwillig die extrem kurzen Viertel in einigen Passagen des langsamen Satzes, ganz besonders eindrücklich kurz vor Schluss ab Takt 63, wo anschließend auch noch die weiten Intervallsprünge (d'-f''-gis) geradezu theatralisch zelebriert werden: die Absicht dahinter, die Konzeption ist durchaus bedenkenswert, ihre Realisierung aber zu sehr auf Überspitzung angelegt.

Kantable Linien und eine kammermusikalische Zugabe

Dabei wählen Vallentin und das ensemble reflektor in den langsamen Sätzen in der Regel erfreulich gemessene Tempi, die es den kantablen Linien der Adagio- oder Largo-Sätze erlauben, sich gebührend zu entfalten, wobei allerdings das meist (Platti, Vivaldi) sehr präsente Continuo in Cembalo und Laute eine gewisse Unruhe hereinbringt. Die Laute wird in den schnellen Sätzen (z.B. des Vivaldi-Konzerts) teilweise durchaus koloristisch eingesetzt in Form von akzentuierender Akkordik; auch dies (in diesem Ausmaß) durchaus Geschmackssache. Beschlossen wird die CD von den beiden letzten Sätzen der Sonate Nr. 1 d-moll (aus den 1707 erschienen sechs Violinsonaten) von Elisabeth Jacquet de la Guerre (1665–1729), wohl als eine Art kammermusikalische Zugabe anzusehen. In der Aria entscheiden sich die Interpreten dafür, die Violinstimme untereinander aufzuteilen: den größten Teil übernimmt Vallentin an der Oboe, passagenweise allerdings abgewechselt durch Violine und auch Cello.

Popsongs als Interludien

Wie eingangs erwähnt, stehen als Übergang zwischen den Konzerten zwei Popsongs (Everything I wanted von Billie Eilish sowie Unholy von Sam Smith und Kim Petras), von Vallentin für Oboe und Streichorchester arrangiert, sowie Vortex – Cadenza for Rush von Vallentin selbst, die die Konzerte von Marcello und Vivaldi (weitgehend ohne Pausen) verbindet. Vallentin möchte hier Parallelen aufzeigen, sowohl musikalisch als auch inhaltlich (nicht zuletzt mit Blick auf die Songtexte). Letztlich ist der Eindruck aber ein schwacher, denn auch, wenn sich Vallentin in seinen Arrangements um eine gewisse Abwechslung und um Reizpunkte bemüht, wirken die Songs doch musikalisch arg dünn und repetitiv, auch im eher harschen Klangbild von Unholy. Vortex ist ähnlich enttäuschend: hier wird mit allerlei erweiterter Spieltechnik gewissermaßen ein Bogen von D zu D beschrieben, zunächst auf gebrochenen Akkorden aufbauend und sich allmählich entfaltend, aber doch floskelhaft und wenig anregend. Freilich: wirklich ärgerlich ist bei alledem Vallentins Behauptung, die klassische Musik habe das Problem, dass ihr Repertoire endlich sei. Im Bezug auf das Oboenrepertoire bietet speziell das 20. Jahrhundert ein Füllhorn von Möglichkeiten; hier gäbe es so viel Interessant(er)es zu entdecken (und auf vorangegangenen Alben hat Vallentin dies ja teilweise auch selbst vorangetrieben). Rush jedenfalls ist ein Album, das bei mir eher zwiespältige Eindrücke hinterlässt.

Holger Sambale [12.03.2025]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Giovanni Benedetto Platti
1Concerto g-Moll für Oboe, Streicher und b.c. 00:12:02
Billie Eilish
4Everything I Wanted 00:04:15
Johann Sebastian Bach
5Concerto d-Moll BWV 974 (nach Alessandro Marcello) 00:11:24
Juri Vallentin
8Vortex - Cadenza for Rush 00:03:50
Antonio Vivaldi
9Concerto d-Moll RV 535 für 2 Oboen, Streicher und basso continuo 00:08:51
Sam Smith/Kim Petras
13Unholy 00:03:52
Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre
14Oboensonate Nr. 1 d-Moll 00:06:54

Interpreten der Einspielung

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