Ebenbild
PASCHENrecords PR 220072
1 CD • 78min • 2020
05.02.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ein einfaches Kirchenlied, O Haupt voll Blut und Wunden, hat Johann Sebastian Bach so stark beeindruckt, dass er es in seinen Vokalwerken immer wieder aufgenommen und variiert hat, im Weihnachtsoratorium ebenso wie in der Matthäus-Passion. Die Texte wechselten dabei ständig: Erkenne mich, mein Hüter - Wenn ich einmal soll scheiden - Wie soll ich dich empfangen, das waren die Varianten des Originals. Für den Oboisten Juri Vallentin und die Streicherformation Trio d’Iroise bilden sie den roten Faden in einem Konzept-Album mit dem Titel EBENBILD, das „eine durchlaufende Erzählung (anstrebt), in der die Grenzen musikalischer Genres und die zwischen Musik und Sprache verschwimmen“.
Die Melodie, die als eine „idée fixe“ durch Bachs geistliche Chorwerke geistert, entstammt allerdings einem recht weltlichen Gesang, den Hans Leo Hassler (1564-1612) in seinen „Lustgarten neuer teutscher Gesäng“ (1601) aufgenommen hat: „Mein Gmüth ist mir verwirret” – das fünfstrophige, anonym veröffentlichte Klagelied eines unerhörten Liebhabers. „Meine Ruh ist hin“ heißt es später im Faust, und im schlichten Gretchen-Ton rezitiert die Schauspielerin Caroline Junghanns auch diese fünf Strophen, die den Verlauf des Programms strukturieren. Jeder Strophe ist ein Musikstück beigeordnet, „von denen jedes einen Aspekt des Gedichtes entschlüsselt“, wie im Faltblatt zur CD behauptet wird. Das ist eine kühne Behauptung, denn die Bezüge mögen wohl dem subjektiven Empfinden der ausführenden Künstler entsprechen, sind aber für den Hörer, auch den phantasiebegabten, nirgends wirklich evident.
Vergessene Preziosen
Das viersätzige quadro g-moll über O Haupt voll Blut und Wunden von Johann Gottlieb Janitsch (1708-1762) ist eindeutig dem Kirchenlied und nicht der vorausgestellten Gedichtstrophe zuzuordnen. Das Streichtrio h-moll des im 1. Weltkrieg gefallenen australischen Komponisten Frederick Septimus Kelly (1881-1916), einer ungarischen Geigerin gewidmet und in deren Bibliothek über hundert Jahre verschollen, ist eine Entdeckung des Trio d’Iroise und François Lefèvre fragt sich, ob die Romance daraus nicht „eine wunderschöne Liebeserklärung“ an die Adressatin sein könnte, passend zur 2. Strophe des Gedichtes „Ach, dass sie mich thet fragen“. Das Quatuor in ré mineur von Charles Brochsa (-1760-1821), das hier überhaupt erstmals eingespielt wurde, wird auf die Strophe „Reichlich ist sie gezieret“ bezogen, die Musik entzückt durch ihre pariserische Leichtigkeit. Die Moderne ist durch einen Zyklus mit dem raunenden Titel 4 Preludes to infinity von Theo Verbey (1959-2019) vertreten, dessen visionärer Charakter sich mühelos der Zeile „Ich kann nicht ganz erzehlen“ anpassen lässt. „Aber ich muß auffgeben“ resümiert der anonyme Dichter des Frühbarock, und gleichsam als musikalische Schlusspointe setzen die Musiker dann Bachs nach zehn Minuten jäh abbrechende Fuga a 3 Soggetti.
Mitreißendes Musizieren
Es ist wohl einfach so, dass die Musiker, die alle bekannten Bach-Choräle wie Hasslers vokale Urfassung in einem instrumentalen Quartett-Arrangement präsentieren, stolz waren auf die Entdeckung auch ihnen bislang unbekannter Partituren und die Freude darüber mit anderen teilen wollten. Die Freude war beim Hören ganz meinerseits, auch wegen der mitreißenden und perfekten Wiedergabe dieser Musiken durch den virtuosen Oboisten Juri Vallentin und die drei wunderbar harmonierenden Streicher Sophie Pantzier (Violine), François Lefèvre (Viola) und Johann Caspar Wedell (Violoncello). Die ausgezeichnete Klangtechnik tat ein übriges, mich die etwas fadenscheinige Dramaturgie vergessen zu lassen, und ich werde mir einzelne Stücke sicher noch mehrmals anhören.
Der Veröffentlichungstermin der CD ist am 18. Februar 2022.
Ekkehard Pluta [05.02.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Hans Leo Hassler | ||
1 | Mein Gmüth ist mir verwirret | |
Johann Gottlieb Janitsch | ||
3 | Quadro über O Haupt voll Blut und Wunden | |
Johann Sebastian Bach | ||
7 | Erkenne mich, mein Hüter (Choral aus BWV 244) | |
Frederick Septimus Kelly | ||
9 | Romance aus Streichtrio h-Moll | |
Johann Sebastian Bach | ||
10 | O Haupt voll Blut und Wunden (Choral aus BWV 244) | |
Charles Bochsa | ||
12 | Quatuor en ré mineur | |
Johann Sebastian Bach | ||
14 | Wenn ich einmal soll scheiden (Choral aus BWV244) | |
Theo Verbey | ||
16 | 4 Preludes to Infinity | |
Johann Sebastian Bach | ||
20 | Wie soll ich dich empfangen (aus: Weihnachtsoratorium BWV 248) | |
22 | Fuga a 3 soggetti (aus: Die Kunst der Fuge BWV 1080, Schlussfuge) |
Interpreten der Einspielung
- Juri Vallentin (Oboe)
- Trio d'Iroise (Streichtrio)
- Bernward Lohr (Cembalo)