Wolfgang Rihm
Deus Passus
hänssler CLASSIC 98.397
2 CD • 1h 30min • 2000
21.02.2002
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das Oratorium Deus Passus von Wolfgang Rihm (geb. 1952) gehört zu jenen Werken (neben ähnlichen Passionsmusiken von Osvaldo Golijov, Sofia Gubaidulina und Tan Dun), die Helmuth Rilling für ein Festival anläßlich der 250. Wiederkehr des Todestages von Johann Sebastian Bach in Auftrag gegeben hatte. Sich heute an die Gattung einer Passionsmusik in Anlehnung an Bachs Passionen zu wagen, ist ganz sicherlich für einen Komponisten eine interessante Herausforderung. Allerdings eine nicht ungefährliche. Denn es droht nicht nur das übermächtige Vorbild den vorwitzigen Nachfolger gleichsam in Stücke zu schlagen, auch die Ideologie der das Passionsgeschehen vermittelnden Institution Kirche sowie das unvermeidlich geschäftsmäßige Umfeld der Rilling’schen Unternehmung sind nicht zu vernachlässigende Unwägbarkeiten für jeden hoffnungsvollen Tonsetzer, der sich darauf einläßt.
Nun hat Wolfgang Rihm keine Bach’sche oder Bach-ähnliche Passion geschrieben, sondern mehr oder weniger in einem Zug durchkomponierte „Passions-Stücke“, Textfragmente aus dem Lukas-Evangelium wie auch aus der katholischen Karwochen-Liturgie, soweit ihm dies sachdienlich erschien. Seine Musik, immer wieder tonale Momente einbeziehend (was für Rihm nicht ungewöhnlich ist), bedient sich vorwiegend der romantisch-expressiven Klangbereiche auf seiner kompositorischen Palette und reiht sich in dieser Hinsicht in eine gewisse oratorische Tradition ein, scheut nicht vor konventionellen, ja geschmäcklerischen Zügen zurück. Es ist weitgehend eine wohllautende Ansprache an die gläubige Seele und läßt sich damit allzu anschmiegsam und angepaßt auf jene neoreligiöse Welle ein, die seit einiger Zeit durch die Neue Musik schwappt. Daß im Vergleich die vor gut 35 Jahren entstandene Lukas-Passion von Krzysztof Penderecki, obwohl auch schon eine stilistische „Zurücknahme“, musikalisch „avantgardistischer“ klingt als das neue Opus von Rihm, ist schon bedenklich.
Wenn Rihm dann auch noch sein Werk mit einer konventionell-syllabischen Vertonung des Gedichtes Tenebrae von Paul Celan beschließt, in einem Stil, der völlig dem Duktus der vorangehenden Passions-Stücke ähnelt, dann scheint sich – um einen Aphorismus aus Adornos Minima Moralia zu paraphrasieren – in der Ganzheitlichkeit dieses Werkes auch seine Unwahrheit zu manifestieren: Celan befindet sich in seinem Gedicht unterwegs zum Atheismus („Bete, Herr, bete zu uns, wir sind nah“), klagt den Gott an, der zu Auschwitz schwieg und sich damit selbst überflüssig machte. Bei diesem Text verbietet sich jeder musikalische Tonfall christilicher Erbauung, wie er Rihms Oratorium in einem schon bedauerlichen Maße kennzeichnet, bedauerlich in Hinsicht auf die beispielhafte Radikalität und Rücksichtslosigkeit, der sich Rihms Tonsprache ansonsten erfreulicherweise befleißigt.
Die Wiedergabe – abgesehen von einer gewissen Ferne der Klangquellen – ist von Seiten der prominenten Solisten, der vorzüglichen Gächinger Kantorei und der überlegenen Klangdramaturgie, wie sie Rilling am Dirigentenpult verwirklicht, untadelig und sichert dieser Produktion einen wichtigen Platz in der Szene der Neuen Musik mit religiöser Thematik. Das ändert aber nichts an der ästhetischen Ambivalenz des Werkes selbst.
Dr. Hartmut Lück † [21.02.2002]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Wolfgang Rihm | ||
1 | Deus Passus für Soli, gemischten Chor und Orchester (Passions-Stücke nach Lukas) |
Interpreten der Einspielung
- Juliane Banse (Sopran)
- Iris Vermillion (Mezzosopran)
- Cornelia Kallisch (Alt)
- Christoph Prégardien (Tenor)
- Andreas Schmidt (Bariton)
- Gächinger Kantorei Stuttgart (Chor)
- Bach Collegium Stuttgart (Orchester)
- Helmuth Rilling (Dirigent)