cpo 777 432-2
1 CD • 72min • 2009
07.07.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Vollendete technische Durchbildung, schöner und edler Ton, endlich geist- und geschmackvoller Vortrag“ – so rühmte einst Meyers Konversationslexikon (4. Aufl., Bd. 4, Leipzig 1885-1892) Carl Davidoff, um abschließend kurz und bündig festzustellen, dass der 1838 in Lettland geborene Künstler „in die erste Reihe der jetzt lebenden Violoncellisten“ gehöre. Solche Erkenntnisfähigkeit würde man sich auch heute wünschen. Denn auf den gegenwärtigen Hauptinterpreten von Davidoffs kompositorischem Schaffen, Wen-Sinn Yang (der Schweizer taiwanesischer Herkunft hat bei cpo bereits die Cellokonzerte Nr. 1 & 2 vorgelegt), treffen die oben beschriebenen Eigenschaften genauso zu.
Selbst die Biografien ähneln einander in erstaunlicher Weise: Beide Künstler studierten an renommierten Konservatorien – Davidoff in Leipzig, Yang (Jahrgang 1965) in Zürich und Berlin – und beide waren zunächst als Orchestermusiker tätig – Davidoff als Solocellist am Gewandhaus und dann in St. Petersburg, Yang in gleicher Position beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Außerdem verbindet beide Meistercellisten ihre Leidenschaft fürs Unterrichten: Davidoff avancierte von 1867 bis 1887 zum Direktor des St. Petersburger Konservatoriums (und stach damit sogar Peter Tschaikowsky aus, der sich ebenfalls um den Posten beworben hatte), Yang amtiert derzeit als Professor und Vizepräsident der Münchner Musikhochschule.
Vom Vorwurf des reinen Virtuosenkomponisten ist Carl Davidoff – 1889 in Moskau verstorben – gewiss freizusprechen. Dafür sorgt Yangs subtiler Zugang: Läufe, Sprünge und Kapriolen in Davidoffs letzten Cellokonzerten Nr. 3 und 4 erheben sich bei ihm nie wirklich zu Herren des Geschehens oder genügen sich selbst, sondern sind stets ganz organisch in eine quasi sinfonische Architektur integriert. Freilich ist diese bisweilen ziemlich vertrackt und lotet technische Grenzen voll aus. Dass es Yang beispielsweise gelungen ist, die irrwitzig-kruden Läufe in der Kadenz des Kopfsatzes des D-Dur-Konzerts noch kantabel wiederzugeben, verdient höchste Bewunderung. Auch im Hinblick auf die Aufnahmetechnik muss man von einer Großtat sprechen: Die Cellostimme bleibt in jedem Detail hörbar und wirkt dabei niemals vom Orchester isoliert.
Zurecht wurde Davidoff von Tschaikowsky „Zar unter den Cellisten“ genannt, galt er doch am ersten Cellopult des Kaiserlichen Theaters in St. Petersburg mehr als 20 Jahre lang als unumstößliche Autorität. Durch drei von Tschaikowskys kürzeren Cello-Stücken, die der vorliegenden CD als eine Art Appendix angefügt und von Wen-Sinn Yang mit Sonorität, Verve, wo nötig Gelassenheit sowie größtem ästhetischen Einfühlungsvermögen gespielt werden, bietet sich zudem eine interessante Vergleichsmöglichkeit.
Einziger Wermutstropfen: Der rote Faden von Yangs Interpretation, sein feinnervig-eleganter Ton, mit dem es ihm immer wieder gelingt, musikalische Strukturen offenzulegen, lässt sich im CD-Begleittext nur mit Mühe finden. Einerseits verquast-musikwissenschaftlich, andererseits allzu launig werden die spärlichen Informationen zu Davidoffs Leben und Schaffen bis ins Letzte ausgequetscht – ohne der dadurch entstehenden Gefahr geschwätziger Langeweile zu entgehen oder gar entgegenzuwirken.
Richard Eckstein [07.07.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Davidoff | ||
1 | Violoncellokonzert Nr. 4 e-Moll op. 31 | 00:25:31 |
4 | Violoncellokonzert Nr. 3 D-Dur op. 18 | 00:28:53 |
Peter Tschaikowsky | ||
7 | Nocturne cis-Moll op. 19 Nr. 4 | 00:04:03 |
8 | Pezzo capriccioso h-Moll op. 62 für Violoncello und Orchester | 00:06:39 |
9 | Andante cantabile op. posth. für Violoncello und Streicher (nach dem Streichquartett Nr. 1) | 00:06:27 |
Interpreten der Einspielung
- Wen-Sinn Yang (Violoncello)
- Terje Mikkelsen (Dirigent)
- Shanghai Symphony Orchestra (Orchester)