Nicolai Gedda sings Arias & Lieder
SWRmusic 94.212
1 CD • 73min • 1954, 1957, 1960, 1965
04.04.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das diskographische Erbe Nicolai Geddas dürfte ein ganzes Regal fülllen, dennoch kommen immer noch bisher unveröffentlichte Aufnahmen ans Licht, die das schon Vorhandene sinnvoll ergänzen, auch wenn sie nichts wesentlich Neues mehr bringen. Der SWR hat jetzt in seinen Fundus gegriffen und zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten aufgezeichnete Dokumente des Jahrhundert-Tenors zu einem Porträt-Recital verbunden. Sechs Opernarien, 1954 und 1957 mit dem SWF-Sinfonie-Orchester unter Ernest Bour in Baden-Baden im Studio aufgenommen, werden mit Live-Ausschnitten aus Liederabenden in Bruchsal (1960) und Ludwigsburg (1965) kombiniert. Die Sammlung beginnt mit dem Lied des Postillons von Lonjumeau aus Adolphe Adams gleichnamiger Oper. Mit dieser Partie hatte Gedda 1952 in Stockholm seine Bühnenlaufbahn begonnen. Wie ein schwedischer Rundfunkmitschnitt belegt, unterlief dem Sänger, was wohl auch der Anfänger-Nervosität geschuldet war, beim hohen d’ in der 3. Strophe des Liedes ein Kickser, was die EMI dazu veranlasste, bei einer späteren Veröffentlichung diese dritte Strophe einfach wegzulassen. Am Mythos des vollkommenen Sängers wollte man offensichtlich nicht kratzen. Zwei Jahre später, im Baden-Badener Studio, kann von Kicksen keine Rede sein, sieghaft strahlend schließt Gedda seinen lebendigen und imaginativen Vortrag mit dem gefürchteten Spitzenton ab. Auch zwei andere Opernausschnitte – aus Rossinis Le Comte Ory und Glinkas Ein Leben für den Zaren - führen in höhere Tenor-Regionen, in denen sich der junge Sänger offensichtlich pudelwohl fühlt. Weniger komfortabel liegt für seine Stimme die Wutarie des Achilles aus Iphigenie in Aulis, die er wie auch die andere Gluck-Arie aus Alceste in deutscher Sprache singt. Etwas indifferent, auch vom Orchester her, gerät Idomeneos Arie „Fuor del mar“. Gedda stand damals, wohlgemerkt, noch am Anfang seiner Karriere.
Die beiden Lied-Recitals zeigen einen bereits ausgereiften Künstler, der den Überschwang der Jugend in vollendete vokale Form einzubinden weiß. Besonders dankbar darf man für die vier Schubert-Titel sein, da Gedda aus einer gewissen Ehrfurcht vor dem deutschen Lied immer etwas zurückgescheut war. Obwohl er perfekt deutsch spricht, meinte er, diese Gattung solle Muttersprachlern vorbehalten bleiben. Die gefühlstiefe und atmosphärische Gestaltung von Titeln wie Im Frühling und Nacht und Träume lässt jedoch bedauern, dass er nicht mehr Schubert-Lieder aufgenommen hat. Sprachlich und stilistisch idiomatisch sind die Gesänge von Francis Poulenc und Nicolai Rimski-Korsakov. Der Ludwigsburger Liederabend von 1965, von Erik Werba begleitet, ist in der Auswahl teilweise identisch mit dem von Orfeo unlängst veröffentlichten Salzburger Liederabend von 1959 mit demselben Pianisten (C 825 101 B). Neben Claude Debussy und Ottorino Respighi sind bei dieser Gelegenheit italienische Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts zu hören, die bei uns kaum dem Namen nach bekannt sind: Alfredo Casella, der Mascagni-Schüler und spätere Futurist Francesco Balilla Pratella und Vito Carnevali. Geddas Stimme hatte sich zu diesem Zeitpunkt vom rein lyrischen deutlich zum Zwischenfach hin entwickelt – sein erster und einziger Lohengrin-Versuch fällt in diese Zeit – und er trumpft hier gelegentlich mit schmelzender italianità auf.
Diese Zusammenstellung belegt einmal mehr den außerordentlichen Rang dieses Künstlers, der auch in musikalischer Hinsicht in allen Sprachen zuhause war, den Stil jedes Liedes und jeder Arie genau erfasst. Dass die Liedtexte im Booklet nicht abgedruckt sind, ist gleichwohl ärgerlich, denn ihre Kenntnis darf zum überwiegenden Teil auch bei fortgeschrittenen Musikfreunden oder Fachleuten nicht vorausgesetzt werden. Wenigstens eine kurze Prosa-Zusammenfassung der Liedinhalte wäre hilfreich gewesen.
Ekkehard Pluta [04.04.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Adolphe Adam | ||
1 | Mes amis écoutez l'histoire d'un jeune et galant postillon (aus: Der Postillon von Lonjumeau) | 00:04:16 |
Christoph Willibald Gluck | ||
2 | Welch Gefühl schwellt meine Brust (aus: Alceste) | 00:04:27 |
3 | Auf Kalchas falle dieses Schwert (aus: Iphigenie in Aulis) | 00:01:24 |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
4 | Qual mi conturba i sensi - Fuor del mar (2. Akt: Idomeneo - aus: Idomeneo KV 366) | 00:05:09 |
Gioachino Rossini | ||
5 | Que les destins prospèrent aqueillent vos prières (aus: Le Comte Ory) | 00:03:45 |
Michael Glinka | ||
6 | Brüder, im Sturm (aus: Ein Leben für den Zaren) | 00:04:10 |
Franz Schubert | ||
7 | Im Frühling D 882 | 00:03:57 |
8 | Die Liebe hat gelogen D 751 | 00:02:53 |
9 | Nacht und Träume D 827 | 00:04:14 |
10 | Der Schiffer D 536 | 00:01:59 |
Francis Poulenc | ||
11 | Paganini | 00:01:09 |
12 | Air grave | 00:02:13 |
13 | Air champêtre | 00:01:13 |
Nikolai Rimsky-Korssakoff | ||
14 | Die fliegende Wolkenbank lichtet sich op. 42 Nr. 3 | 00:03:19 |
15 | El i pal'ma op. 3 No. 1 | 00:02:37 |
16 | Klingender ist das Lied der Lerche op. 43 Nr. 1 | 00:00:56 |
Sergej Rachmaninow | ||
17 | In the silence of the mysterious night op. 4 No. 3 | 00:02:21 |
18 | Fragment from Musset op. 21 No. 6 (Mainacht, 1902) | 00:01:41 |
Claude Debussy | ||
19 | Beau Soir | 00:02:18 |
20 | Mandoline | 00:01:25 |
Joaquín Nin | ||
21 | Granadina Nr. 7 | 00:01:35 |
Ottorino Respighi | ||
22 | Notte | 00:03:42 |
23 | Stornellatrice | 00:01:28 |
Francesco Balilla Pratella | ||
24 | La strada bianca | 00:03:44 |
Alfredo Casella | ||
25 | La storia della fanciulla rapita dal pirate | 00:03:17 |
Vito Carnevali | ||
26 | Stornelli capricciosi | 00:02:39 |
Interpreten der Einspielung
- Nicolai Gedda (Tenor)
- Werner Singer (Klavier)
- Erik Werba (Klavier)
- SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Orchester)
- Ernest Bour (Dirigent)