Challenge Classics CC72590
2 CD • 2h 03min • 2012
06.11.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Dieser Knabe wird uns alle vergessen machen!", soll Johann Adolph Hasse, der große Meister der italienischen Oper, ausgerufen haben, als der 15-jährige Wolfgang Mozart für die Hochzeitsfeierlichkeiten des österreichischen Erzherzogs Ferdinand in Mailand die Serenata Ascanio in Alba präsentierte; Hasse selbst steuerte zu diesem Anlass die Festoper Ruggiero bei.
Die Echtheit dieser Äußerung wird gelegentlich in Zweifel gezogen, da sie im Briefwechsel von Leopold Mozart nicht bezeugt ist – der stolze und ehrgeizige Vater ließ eigentlich keine Gelegenheit aus, seinen Sohn in ein positives Licht zu rücken. Dabei war Leopolds Beharrlichkeit nicht immer nützlich, wie der Rat Kaiserin Maria Theresias an ihren Mailänder Sohn Ferdinand beweist: „Sie fragen mich, ob Sie den jungen Salzburger in Ihre Dienste nehmen sollen. Ich weiß nicht wieso; ich glaube nicht, dass Sie einen Komponisten oder derlei unnütze Leute brauchen. Wenn es Ihnen jedoch Vergnügen macht, will ich Sie nicht daran hindern. Ich sage Ihnen dies – nur deshalb – damit Sie sich nicht unnütze Leute und derlei Volk auf den Hals laden. Was Ihre Gefälligkeit betrifft, so belastet sie nur Ihren Hof, wenn diese Leute die Erde ablaufen wie die Geusen (niederländisch Bettler). Er hat noch dazu eine große Familie." Der Sohn befolgte den mütterlichen Rat, und auch anderswo war kein Engagement zu finden; so blieben letztlich alle drei Reisen nach Italien, mit denen der Vater dem Sohn eine einträgliche Stelle an einem prestigeträchtigen Hof verschaffen wollte, erfolglos.
Doch erwies sich der Auftrag eines in Padua ansässigen Musikmäzens als Hoffnungsschimmer, den Vater und Sohn sehr ernst nahmen: Wolfgang sollte ein Oratorium komponieren auf das Libretto Betulia liberata, das der Dichterfürst Metastasio einst im Auftrag von Kaiser Karl VI., Maria Theresias Vater, verfasst hatte. Leopold schrieb im März 1771 aus Salzburg dem befreundeten Fürsten Pallavicini nach Bologna: „Wolfgang arbeitet inzwischen an einem Oratorium von Metastasio für Padua, bestellt von Don Giuseppe Ximenes de Principi d'Aragona, dieses Oratorium werde ich … zum Kopieren nach Padua schicken, und wenn wir von Mailand [d. h. nach den Hochzeitsfeierlichkeiten mit der Aufführung von Ascanio in Alba] zurückkehren, gehen wir nach Padua zu den Proben."
La Betulia liberata KV 118 (74c) zeigt deutlich die ausführliche Auseinandersetzung des jugendlichen Komponisten mit Hasses Schaffen, spiegelt sich doch die Kunst des 58 Jahre älteren Kollegen in der Partitur stilbildend wider. Die in Vater Mozarts Brief angekündigten Proben scheinen nie stattgefunden zu haben. Überhaupt verliert sich die Spur des Stückes im Ungewissen; Don Giuseppe Ximenes hat offensichtlich einige Vertonungen von Metastasios Text in Auftrag gegeben – überliefert ist lediglich die Aufführung einer Version des Paduaner Komponisten Giuseppe Calegari. In einem Brief aus Wien an die Schwester in Salzburg erbat sich Wolfgang 1784 die Partitur des Oratoriums von dort; er könne für die Konzerte der Tonkünstler-Sozietät immer wieder das eine oder andere brauchen. Das zeigt, dass die Komposition im Mozartschen Familienarchiv aufbewahrt und von dem inzwischen in der Kaiserstadt zum Starpianisten aufgestiegenen Komponisten nicht vergessen worden war.
Im CD-Angebot ist La Betulia liberata nicht eben reichhaltig vertreten, daher dürfte eine gute Aufnahme dieses reizvollen Jugendwerks von Mozart durchaus willkommen sein – zumal, wenn sie auf dem Luxusformat der SACD angeboten wird. Michi Gaigg und ihr L'Orfeo Barockorchester stehen für eine frische Interpretation, die dennoch nicht über die Eigenart und den Charme der jeweiligen Partituren hinwegmusiziert – dieser positive Erfahrungswert gilt auch in dieser Aufnahme. Von den Vokalsolisten weiß besonders die Altistin Margot Oitzinger als Giuditta zu überzeugen: Stilsicher und mit schönem Timbre gestaltet sie mehr die innigeren Aspekte ihrer Rolle der Retterin der Betulier als das heroische Moment. Ebenbürtig, vielleicht in der dramatischen Gestaltung gar überlegen ist ihr Marelize Gerber als Amital. Die beiden männlichen Protagonisten, Christian Zenker (Tenor) als Ozia und der Bariton Markus Volpert in der Rolle des Achior, ziehen gegen die beiden Damen klar den Kürzeren, Zenker dabei gelegentlich auch leider nicht intonationssicher, allerdings tonschön. Die dramatischen Akzente, die Michi Gaigg mit ihrem Orchester überzeugend gestaltet, übertragen sich in den Arien nicht immer mit der nötigen Intensität auf die Sängerbesetzung, die freilich in der dramatischen Ausgestaltung der Rezitative – sie ziehen sich für heutige Zuhörer gelegentlich in die Länge – als Ensemble jenes Temperament zeigen, das ihren Arien bisweilen fehlt.
Es spricht eindeutig sowohl für die Komposition des jugendlichen Mozarts wie auch für diese Aufführung (selbst wenn das als objektives Kriterium nicht gelten mag), dass dem Rezensenten bei fachfremden Aktivitäten wie etwa Gängen in den Supermarkt immer wieder manch ein Ohrwurm aus La Betulia liberata im Kopf herumspukte.
Detmar Huchting [06.11.2013]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
1 | La betulia liberata KV 118 |
Interpreten der Einspielung
- Margot Oitzinger (Giuditta - Alt)
- Christian Zenker (Ozia - Tenor)
- Markus Volpert (Achior - Bariton)
- Ulrike Hofbauer (Cabri - Sopran)
- Marelize Gerber (Amital - Sopran)
- Barbara Kraus (Carmi - Sopran)
- L' Orfeo Barockorchester (Orchester)
- Michi Gaigg (Dirigentin)