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Besprechung CD

Beethoven und der Flügel der Zukunft

Mathias Weber am Paulello-Flügel Opus 102

Ambitus amb96 889

1 CD • 74min • 2020

29.09.2020

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Die Hauptrolle auf dieser CD scheint weder der Pianist noch der Komponist zu sein, sondern der gespielte Flügel, der vom Pianisten hochgemut als „Flügel der Zukunft“ apostrophiert wird und als „ein echtes Orchester“. Es ist der Konzertflügel Opus 102 von Stephen Paulello, der seit 2006 mit seinem eigenen Unternehmen in Frankreich Flügel baut. Dieser 3 Meter lange Flügel, schwärmt das Booklet „mit seinen hundertzwei Tasten, seinen parallelen Saiten, seinen Stegagraffen, seinem Resonanzboden ohne Rippen, seiner Gussplatte ohne Spreizen und seinen vernickelten Saiten“ sei „mit Blick auf die unbefriedigten Ansprüche Beethovens und seiner Musik entworfen.“ Drei Seiten widmet das Booklet diesem Flügel, zwei Beethovens Sonaten und eine Seite ist dem Pianisten vorbehalten. Gefördert wurde die Produktion dieser CD von der Érard-Gesellschaft, was wiederum logisch insofern erscheint, als der Pianist die von Beethoven gespielten Érard-Flügel als unbewusste Vorläufer des Paulello-Flügels kennzeichnet.

Ein erratischer Sonaten-Block

Der Pianist Mathias Weber ist in Göttingen geboren und hat eine gründliche Ausbildung in Hamburg genossen, überdies beschäftigt er sich auch musikwissenschaftlich mit Beethoven sund hat er eine Studie über Beethovens Klaviersonate Nr. 24 verfasst. Auf dieser CD präsentiert er ein Sonaten-Triptychon aus aufeinander folgenden Sonaten, das „wie ein erratischer Block in der Mitte von Beethovens Klavierwerk“ stehe, schreibt der Pianist. Ein Triptychon aus – um es mit Joachim Kaiser zu sagen, einer Sonate voller Extreme des Fortissimo-Rausches und des pp-Dämmerns, einer von stürmischen Verläufen und Prozessen ungeheuerlich erfüllten Sonate, und mittendrin eine verspielt artifizielle Sonate: ein gewiss einschüchterndes Programm. Mathias Weber fügt dabei in der Waldsteinsonate zusätzlich das Andante favori ein, das Beethoven dann doch durch die spannungsvollere Introduzione ersetzt hat: Zu Recht, wie man hört. Und doch hört man die Anklänge an das nachfolgende In tempo d’un Menuetto, was der Konzeption dieser CD wiederum eine schöne Geschlossenheit verleiht.

„Geballte Gemessenheit“

In seinem Werk „ Beethovens Klaviersonaten und ihre Interpreten“ (ein schier unerschöpfliches Kompendium) benennt Joachim Kaiser drei Arten, wie man die Appassionata spielen könne: Als „wohllautende Harmonisierung“, mit „geballter Gemessenheit“ oder mit „Zurückhaltung und Raserei“. Beim Hören dieser CD meint man, Mathias Weber neige insgesamt der „geballten Gemessenheit“ zu. Vielleicht auch, um die Klangmöglichkeiten des „Wunder-Flügels“ in hellstes Licht zu tauchen.

So beginnt er den Kopfsatz der Waldsteinsonate nicht ganz im vorgeschriebenen Pianissimo und nicht ganz mit vorgeschriebenen Brio. Aber alles ist transparent gespielt mit guter Spreizung der Tonhöhen: stählerne Entschlossenheit der perkussiven Basstöne gegen hellklare Diskanttöne. Den Einsatz des Seitenthemas dramatisiert Weber durch ein winziges Ritardando, fast elektrisch aufgeladen sind die Energieballungen, hochspannend ist die Rückleitung zur Reprise, eine der spannendsten und mitreißendsten, die Beethoven je geschrieben hat. Großen Klangzauber entfaltet Weber im Andante favori, das – im Gesamtzusammenhang dieser Sonate – wirklich bloß „grazioso“ bleibt. In wohltönendem Pianissimo, das dann ganz samten wird, beginnt der Finalsatz, wirklich ewig trillern die Triller, das Rondo scheint sich fast zu suhlen im wiegenden C-Dur, triumphierend hämmert Weber die vielfach gebrauchte Note g, das Prestissimo ist ein wirkliches Prestissimo – aber insgesamt produziert Weber keine „durchaus extremen Energien“, von denen Kaiser spricht. Man merkt das auch an der Länge dieses Satzes: Weber braucht dafür 11:52 Minuten, wo ein Arthur Schnabel nur 8:52 braucht, ein Gulda gar nur 8:18, Levit jüngst 9:15: Klarsichtige Darstellung scheint Weber über reine Raserei zu gehen.

Bewusstes Gestaltenwollen

Die baritonale Klangfülle des „Wunderflügels“ kommt der immer unterschätzten Sonate Nr. 22 entgegen, Weber bringt da viel Ernst und demonstrative Gewichtigkeit auf – der zweite Satz dürfte davon noch mehr haben.

Auch die Appassionata will Weber nicht an die reine Raserei verraten, wo Joachim Kaiser in Bezug auf den Finalsatz von einer „gestalteten panischen Gestaltlosigkeit“ spricht, widmet Weber sich eher einem bewussten Gestaltenwollen, einer dezidierten Demonstrationsdeutlichkeit, möchte in den irrationalen Höllensturz Rationalität bringen. Auch hier hilft wieder der Zeitenvergleich: Arthur Schnabel donnert diesen Satz in 7:10 Minuten, Michael Korstick braucht wie Friedrich Gulda dafür 7:15 Minuten, Igor Levit in seiner Gesamtaufnahme aller Beethoven-Sonaten 7:58 – und Weber 9:29. Fast meint man, Weber wolle Jürgen Uhde bestätigen, der über diese Sonate, die viele als reinen Kampf gegen Elementargewalten ansehen, schrieb: „Hinter der Finsternis, in der das Stück endet, steht dennoch der helle Horizont, hinter der Verzweiflung und Rebellion die Hoffnung als Prinzip.“ Heller Horizont und Hoffnung: Was kann man Schöneres erkennen?

Rainer W. Janka [29.09.2020]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ludwig van Beethoven
1Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 (Waldstein-Sonate) 00:34:32
5Klaviersonate Nr. 22 F-Dur op. 54 00:12:28
7Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 (Appassionata) 00:26:20

Interpreten der Einspielung

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