Johann Sebastian Bach
The Well-tempered Clavier II
CAvi-music 8553233
2 CD • 2h 13min • 2017
20.07.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das Aufsehenerregende dieser im Ganzen sehr gediegenen Gesamteinspielung des zweiten Bandes des Wohltemperierten Klaviers ist das ausgewählte Instrument, genauer gesagt, der Instrumententypus. In der Forschung geht man mittlerweile davon aus, dass Johann Sebastian Bach für die mehr oder weniger zehn letzten Jahre seines Lebens neben Orgel, Cembalo, Clavichord und Lautenklavier wohl auch ein Hammerklavier zur Verfügung stand. Mit einem Exemplar von 1749 aus der Werkstatt von Gottfried Silbermann, dessen Original im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg steht und das hier in einer Kopie von Kerstin Schwarz zu hören ist, verwendet Luca Guglielmi eines der älteren deutschen Fortepianos.
Der Unterschied zum Cembalo ist frappierend, natürlich, weil der einzelne Ton modulierbar wird; die Anschlaggeräusche, die sich bei einem solchen Instrument, das zudem von den Tontechnikern von Avi bestechend natürlich, nicht zu nah und nicht zu fern, abgebildet wurde, nicht vermeiden lassen, sind mehr reizvoll als dass sie stören würden. Vor allem tritt bei einzelnen Stücken deren moderner Charakter quasi von selber hervor wie etwa im galant flotten Präludium-Fugen-Paar F-Dur, im diskreten Präludium B-Dur, dem absichtslos spielerischen Präludium Fis-Dur oder in der empfindsam auftretenden Fuge dis-moll; besonders das zarte Präludium E-Dur zeigt die Pianofähigkeit des Instruments. Bei den Fugen ist es auf dem Fortepiano möglich, das Soggetto durch die Anschlagsstärke hervorzuheben. Zum Glück macht Guglielmi aber nicht den Fehler, die Gegenstimmen zum Hauptthema zu vernachlässigen, das man ja schnell wiedererkennt.
Zurückhaltende Klangeffekte
Dreimal benutzt Guglielmi auch die Pedaltechnik, etwa, um das Präludium Cis-Dur senza sordino zu spielen oder das Präludium a-moll una corda, also mit nur einer klingenden Saite. Man mag etwas bedauern, dass solche Klangeffekte nicht ein wenig mehr genutzt werden, freilich, ohne sie überreizen. Denn einerseits ist der Farbenreichtum des Instrumentes so groß nicht, dass man die zwei und viertel Stunden ganz ohne Aufmerksamkeitsverluste am Stück hören könnte; andererseits neigt Luca Guglielmis Spiel, zumindest auf diesen fünf Jahre alten Aufnahmen, ein wenig zur Geläufigkeit und Verbindlichkeit. Von der charakteristischen Widerständigkeit Jordi Savalls, dessen Dirigierassistent der geborene Turiner ist, hat er sich in langen Jahren der Zusammenarbeit nicht allzuviel abgeschaut.
Verkappte Tänze
Das Präludium a-moll, das mit der gewählten „Una Corda“-Pedalisierung so schön geisterhaft klingt, lässt Guglielmi mechanisch und unbeteiligt ablaufen, eine gewisse Glätte durchzieht die Präludien c-moll und As-Dur, in denen tuckernde Motorik angesagt wäre; und müsste das hochexpressive Präludium g-moll nicht viel schwerer genommen werden, um dessen mühevolles Ackern wahrnehmbar zu machen? Guglielmi verfolgt, wie er im Beiheft ausführt, einen rhythmusbetonten Ansatz und stützt sich dabei auf einige Einlassungen des Bach-Schülers Johann Philipp Kirnberger, nach welchen auch Fugen verkappte Tänze seien. Hörbar wohl fühlt er sich beim furiosen Herabstürzen der Skalen im Präludium d-moll oder in den energisch arbeitenden Fuge fis-moll und h-moll. Nicht alle Stücke geraten indes so sprechend wie die Cis-Dur-Fuge mit ihrem insistierenden, zickigen Staccato.
Ein gutes Beispiel für verschenkte Möglichkeiten ist das doppelgesichtige Präludium D-Dur, in dem man sich die gravitätischen Barock-Punktierungen, denen Bach ein parodistisch modern-empfindelndes Motiv entgegenstellt, noch viel artikulierter, gewichtiger vorstellen könnte. Es hilft dabei auch nicht, dass Luca Guglielmi die Punktierungen an die triolischen Achtel angleicht. Der Autor dieser Zeilen gesteht zu, dass diese Nivellierung in der damaligen Zeit Usus gewesen sein dürfte, zumindest, wenn man gewissen Traktaten glaubt. Kein noch so belesener Kopf allerdings wird ihm weismachen, dass Bach selbst nicht Freude an einer lustvoll knirschenden Metrik gehabt hätte, ebenso wie an einer generell bildhafteren und somit sinnlicheren Spielweise.
Prof. Michael B. Weiß [20.07.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Präludium und Fuge Nr. 1 C-Dur BWV 870 | 00:04:24 |
3 | Präludium und Fuge Nr. 2 c-Moll BWV 871 | 00:03:35 |
5 | Präludium und Fuge Nr. 3 Cis-Dur BWV 872 | 00:05:00 |
7 | Präludium und Fuge Nr. 4 cis-Moll BWV 873 | 00:06:50 |
9 | Präludium und Fuge Nr. 5 D-Dur BWV 874 | 00:05:39 |
11 | Präludium und Fuge Nr. 6 d-Moll BWV 875 | 00:03:40 |
13 | Präludium und Fuge Nr. 7 Es-Dur BWV 876 | 00:05:45 |
15 | Präludium und Fuge Nr. 8 dis-Moll BWV 877 | 00:06:06 |
17 | Präludium und Fuge Nr. 9 E-Dur BWV 878 | 00:05:47 |
19 | Präludium und Fuge Nr. 10 e-Moll BWV 879 | 00:05:46 |
21 | Präludium und Fuge Nr. 11 F-Dur BWV 880 | 00:05:50 |
23 | Präludium und Fuge Nr. 12 f-Moll BWV 881 | 00:04:52 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Präludium und Fuge Nr. 13 Fis-Dur BWV 882 | 00:06:11 |
3 | Präludium und Fuge Nr. 14 fis-Moll BWV 883 | 00:06:02 |
5 | Präludium und Fuge Nr. 15 g-Moll BWV 884 | 00:02:34 |
7 | Präludium und Fuge Nr. 16 g-Moll BWV 885 | 00:05:38 |
9 | Präludium und Fuge Nr. 17 As-Dur BWV 886 | 00:06:57 |
11 | Präludium und Fuge Nr. 18 gis-Moll BWV 887 | 00:08:32 |
13 | Präludium und Fuge Nr. 19 A-Dur BWV 888 | 00:03:27 |
15 | Präludium und Fuge Nr. 20 a-Moll BWV 889 | 00:04:19 |
17 | Präludium und Fuge Nr. 21 B-Dur BWV 890 | 00:07:09 |
19 | Präludium und Fuge Nr. 22 b-Moll BWV 891 | 00:08:10 |
21 | Präludium und Fuge Nr. 23 H-Dur BWV 892 | 00:05:46 |
23 | Präludium und Fuge Nr. 24 h-Moll BWV 893 | 00:04:05 |
Interpreten der Einspielung
- Luca Guglielmi (Klavier)