Max Reger
Organ Works Vol. 8

cpo 555 342-2
2 CD • 2h 09min • 2021
29.09.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wenn ein Künstler seine Reger-Gesamtaufnahme als eine Folge interessanter Recital-Programme anlegt, muss er damit leben, dass – wenn die repräsentativen Zugpferde abgearbeitet sind – nur noch weniger interessante Werke übrig bleiben, die womöglich für die Einspielung extra erarbeitet werden müssen. Dieser Crux kann sich Gerhard Weinberger in Vol. 8 seiner Reger-Edition mit Werken der Jahre 1901-04 auf Instrumenten der Reger-Zeit nicht zur Gänze entziehen.
Frescobaldi, Buxtehude und Bach in Neudeutschem Gewand
Max Reger war nie ein Meister in der Erfindung weitschwingender und trotzdem einfach zu behaltender Melodien. Bereits sein Lehrer Hugo Riemann – der mit dem Lexikon – riet ihm, anstatt kurze Motive, lange Melodien zu erfinden. Nicht umsonst sind seine erfolgreichsten Werke – die 5 Choralfantasien, Hiller-, Telemann- und Mozart-Variationen alle über Fremdmaterial gearbeitet, wohingegen kaum eines seiner 300 Lieder Eingang in das sängerische Kernrepertoire gefunden hat. Hierin ist er ein Verwandter Franz Liszts und unterscheidet sich durch diese Eigenschaft am stärksten von seinem Zeitgenossen Richard Strauss, der jederzeit auf diese Fähigkeit zurückgreifen, aber eine Person mit nur drei Tönen (Keikobad in der Frau ohne Schatten) charakterisieren konnte.
Werk statt Leben
Reger, dessen Biographie auf eine bipolare Störung schließen lässt, – Susanne Popp nennt ihre Biographie „Werk statt Leben“ – fand seine Inspriation in der Wiederbelebung barocker Formen, der Choralbearbeitung und der Diptychen von Präludium und Fuge J. S. Bachs. Diese versieht er dann mit Chromatizismen à la Tristan, die tonale Bezüge fast auflösen können. Interessanterweise greift er in den Präludien nicht den reifen Konzertsatztypus des Thomaskantors auf, sondern orientiert sich vielmehr an der großen g-Moll Fantasie und an den mehrgliedrigen Toccaten Dieterich Buxtehudes.
So wie das Orgelbüchlein Bachs eine Vorschule zu den großen Choralbearbeitungen im Dritten Teil der Clavierübung ist, bilden die Choralvorspiele op. 67 Regers ein Propädeutikum zu seinen Choralfantasien. Dass es sich dabei um „leicht ausführbare Vorspiele“ handelt ist allein wegen der Vollstimmigkeit und der teilweise sehr anspruchsvollen Pedalpartien höchst relativ. Diese Zuschreibung trifft eher auf die wirklich nur mittelschweren Orgelchoräle aus op. 79b zu. Diese Einschätzung gilt analog für die Präludien und Fugen op. 56, die aufgrund der zusätzlichen Registrierarbeit mit Schweller, Kombinationen und Walze sowie aufgrund der Chromatik schwererer Entzifferbarkeit durchweg schwieriger als jeder Bach zu realisieren sind – Es-Dur und großes e-Moll ausgenommen.
Die 12 Monologe op. 63 (1902) sind sicherlich nicht für einen Komplettvortrag gedacht gewesen. In ihnen klingt durchaus noch das, was Reger selbst als seine „Sturm und Trankzeit“ bezeichnete, nach. Sie werden bis auf die Hits Introduktion und Passacaglia f-moll und Ave Maria in der Fachliteratur eher negativ beurteilt. Die Canzona zeigt Regers komplizierte, wenig eingängige Melodiebildung. Die Fantasia greift sogar frühe imitatorische Satzmodelle à la Girolamo Frescobaldi auf. Etwas ermüdend sind in den Präludien und Fugen generell die donnernden Schlüsse im Tutti (bei Reger „organo pleno“ mit allen Koppeln). Da ist man für den Pianissimo-Schluss von op. 85,1 dankbar.
Eher solide, denn packende Interpretation
Gerhard Weinbergers Vol. 8 hat seine besonderen Meriten in der liebevollen Darstellung der Choralvorspiele. Er widmet sich diesen Miniaturen mit der nötigen Aufmerksamkeit auf das Detail, findet kluge Registrierungen, die den Farbreichtum der beiden spätromantischen Instrumente hervorragend zur Geltung bringen. In diesem Spezialfall spricht auch nichts gegen eine Aufteilung auf mehrere Volumina. Die 52 Choralvorspiele op. 67 am Stück gespielt, dürften selbst beim geneigtesten Hörer Widerwillen erregen. Problematischer ist jedoch seine Aufteilung der Monologe und der beiden Präludien-Opera. Die Monologe muss man sich auf Vol. 4, 5 & 8 zusammenklauben, op. 56 wird auf 7 und 8 und op. 85 auf 5 und 8 verteilt. Zudem ist mir in den freien Werken die Gangart häufig zu gemächlich. Ob man die langen Bögen als Legato- oder Phrasierungsvorschrift auffassen sollte, ist sicherlich diskutabel, in vielen Fällen wirkt das Dauerlegato jedoch etwas lahm. Karl Straube, der fast alle Reger-Uraufführungen spielte, hat diese in seinen Ausgaben und in seinem Unterricht erheblich modifiziert und dadurch sprechender gemacht. Insgesamt fehlt mir der für Kompositionen eines manisch-depressiven Endzwanzigers nötige verrückte Schwung.
Exzellente Werkeinführungen
Klangtechnisch darf man sich allerhöchstens darüber beschweren, dass man ob der extrem weiten Dynamik des Öfteren am Lautstärkeregler drehen muss, um beim ppp noch etwas zu erkennen, ohne beim Organo pleno den Besuch der Polizei wegen Ruhestörung fürchten zu müssen. Exzellenter Booklet-Text mit vollständigen Dispositionen der Walcker-Orgel der Lutherkirche Wiesbaden,der Kreutzbach-Jehmlich-Orgel der Stadtkirche Pößneck und gelungenen Werkeinführungen von Paul Thissen, die einen Zusatzpunkt beim Gesamteindruck bewirken.
Fazit: Besitzer der vorangegangenen Folgen, werden hier zugreifen. Wem es um die Werke geht, sollte auch die Aufnahmen von Bernhard Buttmann – ebenfalls auf spätromantischen Instrumenten – oder Irenée Peyrot auf seiner universell disponierten Schuke-Orgel der Marktkirche Halle kennen.
Vergleichsaufnahmen: Berhard Buttmann, Oehms - Irenée Peyrot, Querstand.
Thomas Baack [29.09.2022]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Max Reger | ||
1 | Präludium op. 63 Nr. 1 (Monologe Heft 1, Herrn Dr. Hermann Dettmer zugeeignet) | 00:06:23 |
2 | Fuge op. 63 Nr. 2 (Monologe Heft 1, Herrn Dr. Hermann Dettmer zugeeignet) | 00:06:18 |
3 | Canzone op. 63 Nr. 3 (Monologe Heft 1, Herrn Dr. Hermann Dettmer zugeeignet) | 00:07:29 |
4 | Capriccio op. 63 Nr. 4 (Monologe Heft 1, Herrn Dr. Hermann Dettmer zugeeignet) | 00:04:55 |
5 | Fantasie op. 63 Nr. 8 (Monologe Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:05:01 |
6 | Canon op. 63 Nr. 11 (Monologe Heft 3, Herrn Richard Jung zugeeignet) | 00:06:49 |
7 | Scherzo op. 63 Nr. 12 (Monologe Heft 3, Herrn Richard Jung zugeeignet) | 00:04:55 |
8 | Ich dank' dir, lieber Herre op. 67 Nr. 16 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:02:28 |
9 | Ich will dich lieben, meine Stärke op. 67 Nr. 17 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:02:05 |
10 | Jerusalem, du hochgelobte Stadt op. 67 Nr. 18 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:01:46 |
11 | Lobt Gott, ihr Christen alle gleich op. 67 Nr. 25 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:01:06 |
12 | Mach's mit mir, Gott, nach deiner Güt op. 67 Nr. 27 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:02:48 |
13 | O Gott, du frommer Gott op. 67 Nr. 31 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:01:35 |
14 | O Jesu Christ, meines Lebens Licht op. 67 Nr. 32 (Heft 2, Herrn Robert Frenzel zugeeignet) | 00:01:00 |
15 | Seelenbräutigam op. 67 Nr. 37 (Heft 3, Herrn Hermann Gruner zugeeignet) | 00:02:32 |
16 | Variationen und Fuge über Heil, unserm König, Heil WoO IV/7 | 00:08:10 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Präludium und Fuge C-Dur op. 56 Nr. 4 (Richard Baumgart zu eigen) | 00:05:28 |
3 | Mit Fried' und Freud' ich fahr dahin op. 79b Nr. 5 (Choralvorspiel) | 00:02:40 |
4 | Wer weiß, wie nahe mir mein Ende op. 79b Nr. 6 (Choralvorspiel) | 00:03:01 |
5 | Aufersteh'n, ja aufersteh'nwirst du op. 79b Nr. 7 (Choralvorspiel) | 00:00:56 |
6 | Mit Fried' und Freud' ich fahr dahin op. 79b Nr. 10 (Choralvorspiel) | 00:02:17 |
7 | Herr, nun selbst den Wagen halt op. 79b Nr. 12 (Choralvorspiel) | 00:01:00 |
8 | Präludium und Fuge cis-Moll op. 85 Nr. 1 (Herrn Bernhard Irrgang zugeeignet) | 00:08:50 |
10 | Präludium und Fuge G-Dur op. 85 Nr. 2 (Herrn Bernhard Irrgang zugeeignet) | 00:06:41 |
12 | Präludium und Fuge e-Moll op. 85 Nr. 4 (Herrn Bernhard Irrgang zugeeignet) | 00:08:30 |
14 | Allein Gott in der Höh' sei Ehr op. 67 Nr. 1 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:01:29 |
15 | Alles ist an Gottes Segen op. 67 Nr. 2 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:00:48 |
16 | Aus tiefer Not schrei' ich zu dir op. 67 Nr. 3 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:03:03 |
17 | Aus meines Herzens Grunde op. 67 Nr. 4 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:02:31 |
18 | Christus, der ist mein Leben op. 67 Nr. 5 (Ach, bleib mit deiner Gnade, Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:02:31 |
19 | Erschienen ist der herrlich' Tag op. 67 Nr. 8 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:02:28 |
20 | Herr Jesu Christ, dich zu uns wend op. 67 Nr. 9 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:01:28 |
21 | Es ist das Heil uns kommen her op. 67 Nr. 10 (Sei Lob und Ehr' dem höchsten Gut, Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:01:49 |
22 | Freu' dich sehr, o meine Seele op. 67 Nr. 11 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:01:55 |
23 | Herr, wie du willst, so schick's mit mir op. 67 Nr. 13 (Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:05:26 |
24 | Jauchz', Erd' und Himmel, juble op. 67 Nr. 15 (Heft 1, Herrn Prof. Dr. J.G. Herzog zugeeignet) | 00:04:17 |
Interpreten der Einspielung
- Gerhard Weinberger (Orgel)