Nikolai Miaskowsky
Cello Concerto op. 66 • Cello Sonatas 1 & 2
cpo 555 420-2
1 CD • 77min • 2020
06.03.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vielleicht würde man das Label cpo nicht in erster Linie mit sowjetischer Musik in Verbindung bringen, aber über die Jahre sind dort auch auf diesem Gebiet eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zusammengekommen – man denke etwa an die Weinberg-, Kabalewski- und Chatschaturjan-Editionen, teils sogar mit Weltpremieren. In diese Riege gehört auch die vorliegende Neuerscheinung, mit der sich das Label erstmals mit dem großen russischen Sinfoniker Nikolai Mjaskowski (1881–1950) befasst, und zwar mit seiner Musik für solistisches Violoncello. Gleichzeitig setzt das Album die schon lange währende Zusammenarbeit des Labels mit dem Cellisten Raphael Wallfisch fort, und auch bei der Janáček-Philharmonie Ostrava und dem Dirigenten Łukasz Borowicz handelt es sich um bewährte Kräfte. Simon Callaghan am Klavier ist bislang insbesondere als Spezialist für britisches Repertoire hervorgetreten.
Herbstlich-elegischer Tonfall
Mjaskowski ist sicherlich grundsätzlich kein Unbekannter, aber nur wenige seiner Werke haben sich über Jahrzehnte hinweg durchgängig einer gewissen Popularität erfreut. Dazu zählen ganz besonders sein Cellokonzert c-moll op. 66, das ich ohne zu zögern als eines der schönsten Cellokonzerte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnen würde, sowie die Cellosonate Nr. 2 a-moll op. 81, entstanden in den 1940er Jahren und eng mit dem Namen Rostropowitsch verknüpft, der sich als blutjunger Nachwuchscellist intensiv für das Konzert einsetzte, die Sonate entstand dann speziell für ihn („in bisschen im Stil von César Franck, eine romantische Sonate“, wie Mjaskowski zu Rostropowitsch selbst sagte). Beide Werke sind ungemein charakteristisch für den Spätstil des Komponisten (und wurden jeweils übrigens mit einem Stalinpreis ausgezeichnet), über weite Strecken in herbstlich-elegischem Tonfall gehalten, getragen von blühender Melodik. Mjaskowskis Stil hat sich über die Jahre sicherlich verändert (teils politisch bedingt, was freilich keinesfalls bedeutet, dass die späteren Werke weniger wertvoll wären), aber eine ganze Reihe von Grundkonstanten, die im Laufe der Jahre unverändert geblieben sind, kann man doch ausmachen. Gerade die Cellosonate Nr. 1 D-Dur op. 12, in ihrer Urfassung 1911/12 entstanden, zeugt (vielleicht noch stärker als manche der Orchesterwerke aus jenen Jahren) ganz entschieden von Mjaskowskis ureigenem Stil; so vieles in diesem Werk ist bereits so typisch für seinen Schöpfer, dass es eigentlich bereits völlig unverwechselbar ist (exemplarisch seien hier nur die brütenden, stockenden Gesten genannt, die den Mittelteil des 1. Satzes durchziehen).
Solide, versierte Darbietungen
Raphael Wallfisch ist wie üblich ein grundsätzlich solider Anwalt dieser Musik, sein Spiel ist schlank im Ton und technisch versiert, seine Interpretationen in der Tendenz eher sachlich. In den (zahlreichen) lyrischen Passagen könnten sich sein Legato und seine Phrasierung stärker an der melodischen Linie orientieren, den Schmelz, das Kantable dieser Musik deutlicher zur Geltung bringen, so etwa gleich beim ersten Einsatz des Soloinstruments im Cellokonzert. Dabei weiß die Interpretation des Konzerts über weite Strecken durchaus zu gefallen, auch von Seiten der sehr guten Janáček-Philharmonie und Borowicz am Pult, die Mjaskowskis stets etwas introspektiven Tonfall gekonnt herausarbeiten. Schwachpunkt der Einspielung dieses Werks sind die letzten Minuten: nach der Elegie des Kopfsatzes und dem viel gelösteren, wenngleich nicht ungetrübten Beginn des Finales erhält das Konzert mit Beginn der Kadenz eine ungeahnt dramatische Note, und hier könnte sich in der Kadenz deutlich mehr Spannung aufbauen, der Wiedereinsatz der Thematik des Kopfsatzes eine stärkere tragische Wucht entfalten und das Ende des Werks das Ende des Kopfsatzes eben nicht nur zitieren, sondern verklären, trösten. Insgesamt gut gelungen ist die Einspielung der ersten Sonate; manche Nuancen könnten etwas stärker herausgearbeitet werden (gleich der Beginn ist etwas direkt im Ausdruck), aber insgesamt braucht sich diese Einspielung nicht vor der Konkurrenz zu verstecken. Viel schwächer leider die Sonate Nr. 2, wo Wallfisch die innige Melodik des langsamen Satzes zu verhalten angeht und dem Finale (mit einer Mischung aus Perpetuum mobile und Tanz, der man in jedem Mjaskowski-Finale seiner Opera 80 bis 86 in irgendeiner Form begegnet) viel an Temperament abgeht. Bei aller Vorsicht bezüglich Zeitvergleichen: Wallfisch / Callaghan benötigen etwa 6:20 für einen Satz, den Rostropowitsch / Dedjuchin anno 1967 in 4:50 live dargeboten haben, korrespondierend mit einer Verve, einem Feuer, das man in der vorliegenden Interpretation nicht wiederfindet.
Großartige, lohnenswerte Musik
Schön, dass die CD auch einige kleinere Kompositionen von Mjaskowskis Lehrern Ljadow (Arrangements zweier Klavierstücke aus op. 11) sowie Rimski-Korsakow (seine sehr hübsche Serenade op. 37) mit einschließt. Ein Album, das geeignet ist, um einen guten Eindruck vom Schaffen Mjaskowskis zu erhalten, was angesichts so lohnenswerter und eigentlich nach wie vor unterschätzter Musik nur begrüßt werden kann.
Holger Sambale [06.03.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Nikolai Miaskowsky | ||
1 | Konzert c-Moll op. 66 für Violoncello und Orchester | 00:28:15 |
3 | Sonate Nr. 1 D-Dur op. 12 für Violoncello und Klavier | 00:18:10 |
Anatoli Liadov | ||
5 | Prelude op. 11 Nr. 1 | 00:03:03 |
6 | Mazurka op. 11 Nr. 3 | 00:03:00 |
Nikolai Rimsky-Korssakoff | ||
7 | Serenade op. 37 | 00:03:49 |
Nikolai Miaskowsky | ||
8 | Sonate Nr. 2 a-Moll op. 81 für Violoncello und Klavier | 00:20:22 |
Interpreten der Einspielung
- Raphael Wallfisch (Violoncello)
- Simon Callaghan (Klavier)
- Janáček Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Łukasz Borowicz (Dirigent)