da.zwischen
Zwischen Tag und Nacht. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Zwischen Dir und mir
Ars Produktion ARS 38 643
1 CD • 70min • 2022
09.11.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ein Allerweltsprogramm ist das wahrlich nicht, das sich die Deutsch-Italienerin Sofia Pavone und der Deutsch-Iraner Hedayet Jonas Djeddikar für ihre erste gemeinsame, von der Bundesregierung (Neustart Kultur) und anderen Institutionen maßgeblich geförderte CD zusammengestellt haben. Der Album-Titel „da.zwischen“ zielt in philosophische Bereiche. Denn es geht in den hier versammelten Gedicht-Vertonungen um nicht weniger als die Räume zwischen Tag und Nacht, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leben und Tod, aber auch zwischen Welten und Menschen.
„Sei willkommen, Zwielichtstunde!“ – mit der Abenddämmerung von Johannes Brahms leiten Pavone und Djeddikar ihre Reise durch diese Zwischenwelten ein, die in drei Abteilungen nach Deutschland, Italien und Persien führt. Die deutsche Sektion bleibt da mit drei Mignon-Liedern relativ im konventionellen Bereich, beginnend mit Wolfs bekanntem „Heiß mich nicht reden“ und den weniger profilierten Adaptionen von Hans Sommer („So lasst mich scheinen“) und Erich Jacques Wolff („Kennst du das Land“), die auch in der textlich etwas unterbelichteten Wiedergabe durch die Sängerin keinen starken Nachhall hinterlassen.
Dunkle Töne aus Italien
Der zweite auf Italien fokussierte Teil assoziiert dieses Land eher ungewöhnlich mit Themen wie Nacht und Traum und lässt Dichter wie Giacomo Leopardi, Giovanni Pascoli, Gabriele d’Annunzio und Ada Negri zu Wort kommen. Die Komponisten vertreten eine neue Generation des frühen 20. Jahrhunderts (die sogenannte „generazione dell’ottanta“), die sich gleichermaßen von Verismo und Wagnerismo lossagte und ihr Heil in der Rückkehr zu klassizistischen Formen suchte. Ildebrando Pizzetti und Ottorino Respighi gehörten zu den herausragenden Vertretern. In ihrer stilistischen Nähe findet sich, jedenfalls in seinen Liedern, auch der Post-Verist und Neo-Romantiker Riccardo Zandonai, dessen Francesca da Rimini mittlerweile auch auf deutschen Bühnen häufiger anzutreffen ist. Respighi als „Intermezzo“ deklariertes und unmittelbar auf Brahms‘ Todessehnen folgendes Lied La fine nach einem Gedicht von Rabindranath Tagore nimmt im Gesamtprogramm dieses Recitals, das immer wieder um das Thema des Sterbens kreist, eine besondere, fast programmatische Stellung ein, geht es doch hier um die Verschmelzung von Zeit und Ewigkeit. Das sterbende Kind geht der Mutter nicht verloren, es wird immer bei ihr sein.
Persisches in deutscher Fassung
Der dritte Teil ist Persien gewidmet mit Konnotationen wie „Sonne“, „Sinne“ und „Entgrenzung“. Dort geht es aber nicht um originale persische Musik, sondern um Adaptionen deutscher Nachdichtungen von Hafis (14. Jahrhundert), der schon Goethe inspirierte, und den persischen Liebesliedern des aserbaidschanischen Dichters Mirza-Schaffy (1796-1852), die der Russe Anton Rubinstein in der deutschen Fassung Friedrich von Bodenstedts vertont hat. In dieser Sektion begegnen wir einigen Komponistennamen, die nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein sind: Der Breslauer Georg Henschel (1850-1934), der es in London vor allem als Sänger zu großer Berühmtheit gebracht hat und geadelt wurde, Max Kowalski (1882-1956), der auch als Sänger und Rechtsanwalt tätig war und vor den Nazis nach England fliehen musste, und der aus einer eingesessenen Wiener Musikerfamilie stammende, einige Zeit als Nachfolger Hugo Wolfs sehr hoch eingeschätzte Theodor Streicher (1874-1960).
Sieg der Diesseitsfreude
Der Tod ist zwar fast immer gegenwärtig, Allerseelen-Tristesse kommt allerdings in keinem Augenblick auf. Denn die Stimme von Sofia Pavone, ein opulenter lyrischer Mezzo von heller Farbe, von Haus aus nicht dafür geschaffen, in düstere Zwischenräume der seelischen Existenz zu leuchten, vielmehr berstend vor Gesundheit, Jugend und Diesseitsfreude, stellt zu den Liedinhalten eine dialektische Spannung her, die das Programm durchaus trägt. Und wenn sie dann – quasi als Zugabe und nicht in der Trackliste vermerkt – das Wiegenlied von Brahms in überrumpelnder Schlichtheit gibt, kann man nur zu dem Schluss kommen: diese Stimme tut der Seele einfach gut. Und das ist mehr als die halbe Miete. Hedayet Jonas Djeddikar ist ein bewundernswerter Begleiter, der sich in allen Stilen zuhause zeigt und in einigen Nummern, insbesondere in Respighis La fine als Poet erweist.
Ekkehard Pluta [09.11.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Abenddämmerung op. 49 Nr. 5 | 00:03:59 |
Hugo Wolf | ||
2 | Mignon I (Heiß mich nicht reden) | 00:03:24 |
Hans Sommer | ||
3 | Mignon singt, als Engel angetan (So lasst mich scheinen) | 00:03:58 |
Erich J. Wolff | ||
4 | Mignon op. 15 Nr. 1 (Kennst du das Land) | 00:04:20 |
Johannes Brahms | ||
5 | Todessehnen op. 86 Nr. 6 | 00:04:19 |
Ottorino Respighi | ||
6 | La fine (Cinque liriche) | 00:08:03 |
Ildebrando Pizzetti | ||
7 | Oscuro è il ciel (Due canti d'amore) | 00:02:27 |
Ottorino Respighi | ||
8 | Un sogno (Quattro liriche) | 00:04:22 |
Riccardo Zandonai | ||
9 | Notte di neve | 00:02:38 |
10 | Attimo | 00:04:19 |
Ottorino Respighi | ||
11 | E se un giorno tornasse | 00:02:23 |
Erich Wolfgang Korngold | ||
12 | Sterbelied op. 14 Nr. 1 | 00:04:20 |
Max Kowalski | ||
13 | So lange wir im Licht sind (Acht Lieder auf Gedichte von Hafis) | 00:02:04 |
Erich J. Wolff | ||
14 | Horch, hörst du nicht vom Himmel her? (Lieder) | 00:01:08 |
Georg Henschel | ||
15 | Wie Melodie aus reiner Sphäre hör' ich op. 43 Nr. 3 (Drei Lieder) | 00:01:55 |
Robert Schumann | ||
16 | Aus den östlichen Rosen op. 25 Nr. 25 (1840) | 00:01:52 |
Anton Rubinstein | ||
17 | Neig', schöne Knospre, dich zu mir op. 34 Nr. 8 (aus: Persian Love Songs op. 34 - Zwölf Lieder von Mirza-Schaffy) | 00:02:47 |
18 | Es hat die Rose sich beklagt op. 34 Nr. 4 (aus: Persian Love Songs op. 34 - Zwölf Lieder von Mirza-Schaffy) | 00:01:26 |
19 | Gelb rollt mir zu Füßen op. 34 Nr. 9 (aus: Persian Love Songs op. 34 - Zwölf Lieder von Mirza-Schaffy) | 00:03:18 |
Bernhard Sekles | ||
20 | Es eilt die Ros' op. 11 Nr. 1 (Aus Hafis. Vier Gesänge) | 00:02:33 |
Theodor Streicher | ||
21 | Ist Dir ein getreues liebevolles Kind beschert (Hafis-Lieder) | 00:02:01 |
Erich Wolfgang Korngold | ||
22 | Unvergänglichkeit op. 27 Nr. 1 | 00:02:32 |
Interpreten der Einspielung
- Sofie Pavone (Mezzosopran)
- Hedayet Jonas Djeddikar (Klavier)